: Kulturmord oder Kulturlandschaft?
■ Indonesiens Umsiedlungsprogramme geraten ins Kreuzfeuer der Kritik / Verelendung als Folge wirtschaftlicher Fehlplanungen / Deutsche GTZ rechtfertigt ihren Beitrag zur Stabilisierung javanischer Vorherrschaft in den Außeninseln / Befreiungsbewegungen soll der Boden entzogen werden
Von Klemens Ludwig
Als „kulturellen Mord“ bezeichnete Victor Kasiepo, ein im niederländischen Exil lebender Westpapua, die Absicht der indonesischen Regierung, bis zum Jahr 2000 65 Mio Menschen von den dichtbevölkerten Inseln Java, Bali und Madura auf die Außeninseln umzusiedeln. An dem Projekt beteiligte Wissenschaftler priesen dasselbe Unternehmen dagegen als „Umwandlung von Natur in Kulturlandschaft“ oder einen „Beitrag zum Ausgleich regionaler Disparitäten“. Solch unterschiedliche Standpunkte prallten bei einem Seminar über Transmigration in Indonesien aufeinander, das von der Menschenrechtsorganisation IMBAS in Frankfurt organisiert worden war. Als Referenten hatte IMBAS die Geographen Prof Fridjof Voss von der TU Berlin und Dr. Heiner Dürr von der TU München eingeladen, die beide an einem Transmigrationsprojekt beteiligt waren, das Menschen aus Java in Ostkalimantan ansiedelt. Voss, der im Auftrag der indonesischen Regierung die karthographische Erfassung des Gebietes durchgeführt hat, leugnete mit einer nahezu rührenden Unbedarftheit jegliche wissenschaftliche Verantwortung für die sozialen und politischen Konsequenzen der Transmigration. Dürr, der für die bundesdeutsche Gesellschaft für technische Zusammenarbeit (GTZ) die Raumplanung in demselben Gebiet übernommen hat, kritisierte zwar die praktische Umsetzung des Programms, gleichzeitig verteidigte er aber die Umsiedlungen grundsätzlich als geeignetes Mittel, um dem Bevölkerungsdruck auf Java zu entgegnen. Dem widersprachen nicht nur Victor Kasiepo, sondern auch die Mehrzahl der Seminarteilnehmer. So warf eine Vertreterin der „Grünen im Bundestag“ der GTZ Scheinheiligkeit vor, wenn sie einerseits eine „sanfte Transmigration“ propagiere und andererseits mit Telekommunikationsprojekten einen wichtigen Beitrag zur Stabilisierung des indonesischen Systems leiste. Auch über den Rahmen des Seminars hinaus mehren sich die Stimmen derer, die in der Transmigration weniger ein Mittel der Entwicklungs– als der Machtpolitik sehen. Internationale Menschenrechts– und Ökologiegruppen haben sich kürzlich öffentlich mit der Forderung an die Weltbank gewandt, die Unterstützung für das Transmigrationsprogramm zu stoppen. Unterentwicklung durch Fehlplanung Wie in nahezu allen Teilen der sogenannten Dritten Welt resultiert die regionale Überbevölkerung aus wirtschaftlicher Fehlplanung und daraus folgender Verelendung. Das Beispiel der Süd molukken steht für viele Gebiete in Indonesien: Die Vernichtung der auf dem Fischfang basierenden traditionellen Wirtschaft durch den Verkauf der Fangkonzessionen an japanische Hochseetrawler sowie ein gigantisches Abholzungsprogramm auf der Insel Ceram trieben die Menschen auf der Suche nach Arbeit in die großen Städte Javas, wo heute die Hälfte der Südmolukker lebt. Statt Transmigration würden also landwirtschaftliche Projekte, die der verarmten Bevölkerung zugute kommen, die Ursachen für die Überbevölkerung auf Java bekämpfen. Die Regierung selbst hat in Untersuchungen festgestellt, daß mit 5.000 Dollar Land für zehn landlose Bauern, fünf Dörfer auf Java infrastrukturell entwickelt oder 400 Arbeitsplätze im informellen Sektor geschaffen werden könnten. Für eine umzusiedelnde Familie veranschlagt die Weltbank jedoch je nach Region bis zu 10.000 Dollar. Da die indonesische Wirtschaftspolitik weiterhin auf ehrgeizige Industriekprojekte (und seit neuestem auch ein Atomprogramm) setzt, verfehlt die Regierung das angebliche Ziel der Transmigration bei weitem: Noch immer strömen mehr Menschen nach Java als von dort umgesiedelt werden. Die bevorzugten Ansiedlungsgebiete offenbaren die eigentliche Intention der Transmigration: Die Neuansiedler werden vor allem in solche Provinzen verfrachtet, die der Zentralregierung ablehnend gegenüberstehen. Durch Transmigration zur Integration Indonesien ist ein typischer Vielvölkerstaat, dessen Grenzen durch die niederländische Kolonialzeit willkürlich geschaffen wurden. Die Batak und Ajeh auf Sumatra, die Dayak auf Kalimantan (Borneo) oder die Südmolukker unterschieden sich in ihrer Kultur, Religion und Wirtschaftsweise weitgehend von den dominierenden Javanern. Autonomiebestimmungen zur Sicherung der Eigenständigkeit der verschiedenen Völker wurden nach der Unabhängigkeit 1949 nie eingehalten. Besonders die rohstoffreichen Territorien und die strategisch wichtigen Grenzgebiete sehen sich bis heute dem Zugriff der Zentralregierung ausgesetzt. Zwar lautet die offizielle Staatsideologie „Einheit in Vielfalt“, doch in der Praxis muß stets die Vielfalt der Einheit weichen. Die Regierung begnügte sich nicht mit den Grenzen von 1949, sondern annektierte darüber hinaus die von Melanesiern bewohnten Inselhälften Westpapua (1963) und Osttimor (1976), eine ehemalige portugiesische Kolonie. In beiden Gebieten herrscht seitdem Krieg, den die übermächtige indonesische Armee trotz Einsatz moderner amerikanischer und bundesdeutscher Waffen offenbar nicht gewinnen kann. In der Transmigration sieht die indonesische Regierung daher heute das erfolgversprechendste Mittel, Assimilierung und Integration zu erreichen. Das hat der zuständige Minister Hartono auf einem nicht für die Öffentlichkeit bestimmten Seminar am 20. März 1985 sogar zugegeben. Er erklärte: „Am 28. Oktober 1982 wurde auf einem Jugendkongreß gesagt: Wir sind eine Nation, die indonesische Nation; wir haben ein Vaterland, Indonesien; wir sprechen eine Sprache, die indonesische Sprache. Durch die Transmigration versuchen wir das zu verwirklichen: die Integration aller ethnischen Gruppen in eine, die indonesische Nation... Auf lange Sicht werden die verschiedenen ethnischen Gruppen verschwinden. Es wird nur noch einen Menschen geben.“ Strategische Umsiedlungen Zu der ethnischen kommt die militärische Bedeutung des Programms. Im September 1985 erklärte Minister Hartono mit ungewohnter Offenheit: „Die Vorbilder für unsere Umsiedlungen sind Modelle, die auch in Krisengebieten nützlich sind. Es kommen vor allem die Inseln vor der Westküste von Sumatra in Frage, sowie Natuna, Osttimor und die Grenzregion von Westsumatra. Das größte Umsiedlungsgebiet ist Irian Jaya (Westpapua).“ In Westpapua wiederum ist vor allem die Grenzregion zu Papua Neu Guinea betroffen, wo die neuen Siedler der westpapuanischen Unabhängigkeitsbewegung OPM das Rückzugsgebiet in den anderen Teil der Insel verschließen sollen. Auch deutsches Geld hilft mit, die kulturelle und ethnische Vielfalt auf dem indonesischen Archipel zu zerstören. Die Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) betreibt ein Ansiedlungsprojekt für 250.000 Javaner in Ostkalimantan, das bis 1988 fertiggestellt sein soll. 73 Millionen DM läßt sich die GTZ ihr Engagement kosten, 30 Millionen DM steuert die Kreditanstalt für Wiederaufbau bei. 1,8 Millionen DM hat die Konrad Adenauer–Stiftung für ein Programm in Westkalimantan zur Verfügung gestellt. An der Erforschung der sozialen und ökologischen Auswirkungen der Transmigration beteiligt sich das Hamburger Weltwirtschaftsarchiv (HWWA). Zweifel an ihren Aktivitäten sind den deutschen Geldgebern ungeachtet der öffentlichen Kritik anscheinend noch nicht gekommen - im Gegenteil: In einer Projektbeschreibung unter dem bemerkenswerten Titel „Der Natur zum Trotz“ preist die GTZ ihr Engagement als „Beitrag zur Verbesserung von Einkommen und Lebensstandard der Bevölkerung“. Angesichts der Realität in Kalimantan müßte die GTZ wohl ehrlicher von einem „Beitrag zur Sicherung der javanischen Vormachtstellung in Indonesien“ sprechen.
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