: Das „harmlose“ Gift der BASF
■ Die 2.000 Liter in den Rhein geflossene 2,4–D–Säure ist eine hochtoxische Substanz mit krebserregenden und mutagenen Wirkungen / Im Vietnam–Krieg als Bestandteil von „Agent Orange“ eingesetzt / Staatsanwaltschaft ermittelt gegen BASF
Berlin (taz/dpa/ap) - Das von dem Ludwigshafener BASF–Konzern am Freitag nach einem Unfall in den Rhein eingeleitete Unkrautvernichtungsmittel 2,4–Dichlorphenoxiessigsäure ist ein Herbizid mit krebserzeugenden und mutagenen Wirkungen. Es ist Bestandteil des im Vietnam–Krieg von den USA eingesetzten Entlaubungsmittels „Agent orange“. Der taz liegt eine Expertise der amerikanischen Wissenschaftlerin Ruth W. Shearer vor, die im April 1983 für die amerikanische Gesundheitsbehörde EPA eine Bestandsaufnahme der gesundheitlichen Auswirkungen von 2,4–D–Säure vorgelegt hat. Die Aussagen der Wissenschaftlerin stehen in krassem Gegensatz zu den Erklärungen der BASF und des rheinland–pfälzischen Umweltministers Töpfer. Die US–Toxikologin hat die Krankheitsgeschichte von mehr als 30 Personen untersucht, die akut mit 2,4–D–Säure vergiftet worden waren. Viele von diesen Personen seien „noch Jahre später behindert“ gewesen. Als Symptome einer 2,4–D–Vergiftung nennt die Expertise „Ohnmacht, Brechreiz, Durchfall, Kopfschmerzen, zeitweiliger Sehverlust, Schwäche, brennende Augen“ usw. „Bleibende Wirkungen sind Taubheit und Kribbeln in den Händen und Füßen, chronische Atembeschwerden, Tendenz zu Blutungen, Konzentrations– und Gedächtnisschwächen.“ 2,4–D verteile sich schnell in alle Gewebe, einschließlich der Placenta und dringe rasch in die Zellkerne ein. Es erzeuge „Mutationen in tierischen Zellen und Chromosomen–Veränderungen in menschlichen Lymphozyten“. Die BASF hatte demgegenüber sofort nach Bekanntgabe des Unfalls behauptet, das eingeleitete Herbizid sei „wenig giftig und leicht abbaubar“, Auswirkungen auf die Umwelt und menschliche Gesundheit seien nicht zu befürchten. Die Bundestagsfraktion der Grünen hat inzwischen darauf hingewiesen, daß bei der Herstellung von 2,4–D Dioxin entstehen kann. Dies wird auch in der EPA–Expertise herausgestellt. Dort heißt es, daß kanadische Wissenschaftler in zwölf von 26 Proben von kommerziell hergestellter 2,4–D Dioxin analysiert haben. Die Proben enthielten zwischen 80 und 8.000 ppb (parts per billion) Dioxine. Die amerikanische Gesundheitsbehörde habe daraufhin selbst Untersuchungen auf Dioxin angestellt und sei ebenfalls in drei Proben fündig geworden. Nach Ansicht von Hessens Umweltminister Fischer bestätigt der Störfall bei der Frankfurter Hoechst–AG, durch den am 12. November Chlorbenzol in den Main gelangte, die Notwendigkeit strengerer gesetzlicher Vorschriften. Die Kunde von der Gefährlichkeit von 2,4–D ist inzwischen auch bis in die Ministerbüros und Behörden vorgedrungen. Nachdem die Wasserwerke am Rhein angewiesen worden waren, auf die Entnahme von Rheinwasser bis auf weiteres zu verzichten, widerrief auch das rheinland–pfälzische Umweltministerium seine Äußerungen von der Ungefährlichkeit des Herbizids. Fortsetzung auf Seite 2 Die Angaben der BASF stünden im Gegensatz zu neueren Erkenntnissen, sagte Marlene Mühe, Sprecherin des Ministeriums. Wie gestern bekannt wurde, hat die Staatsanwaltschaft Franken thal gegen die BASF ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Verunreinigung von Gewässern eingeleitet. Auch das Umweltbundesamt hat der BASF widersprochen. 2,4–D sei keineswegs leicht abbaubar, dazu brauche es eine Zeit von bis zu vier Monaten, teilte das Berliner Amt dem Töpfer–Ministerium mit. Die BASF hatte mehrfach 2,4–D als leicht abbaubar bezeichnet. Die neue Giftstoff–Welle im Rhein weist nach letzten Meldungen in Nordrhein–Westfalen bis zu 15 bis 20 Mikrogramm pro Liter des Unkrautvernichtungsmittels 2,4–D auf. Das ist die 150– bis 200fache Menge des zulässigen Höchstwertes von 0,1 Mikrogramm. Wie das nordrhein–westfälische Umweltministerium am Montag berichtete, wird die rund 120 Kilometer lange Welle mit dem Gift voraussichtlich im Laufe des Mittwochs die Niederlande erreichen. Danach, so Umwelt–Minister Klaus Matthiesen (SPD), könnten die rheinnahen Trinkwasserbrunnen wieder geöffnet werden.
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