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Noch nicht einmal das nackte Überleben ist gesichert

■ Start einer Spendenaktion für Nicaragua / Auftaktveranstaltung für eine bundesweite Kampagne (“Nicaragua muß Überleben“) in der Hamburger Kampnagelfabrik Podiumsdiskussion mit Helmut Frenz, Dietmar Schönherr und dem nicaraguanischen Botschafter über die politische und soziale Lage in Nicaragua

Aus Hamburg Ute Scheub

„Die Revolution ist ein Schreibpult mit Heften, ist eine Mahlzeit, ist das Gespräch mit einem Freund, der nein sagt und trotzdem weiter dein Freund ist.“ Mit einer Collage von Texten und Tönen aus Lateinamerika und einem Podiumsgespräch zwischen dem nicaraguanischen Botschafter in Bonn, dem ehemaligen Generalsekretär der deutschen Sektion von amnesty international, Helmut Frenz und dem Schauspieler Dietmar Schönherr ist am Wochenende in der Hamburger Kampnagelfabrik eine bundesweite Spendenkampagne unter dem Tiel „Nicaragua muß überleben“ eingeleitet worden. „Seit vier Jahren hat Nicaragua furchtbare Schwierigkeiten durchzumachen, wegen des nichterklärten terroristischen Krieges der USA und der verhängten totalen ökonomischen Blockade“, so begründete Heriberto Incer, Bonner Botschafter Nicaraguas, den weltweiten Hilferuf der sandinistischen Regierung. Das kleine Land mit seinen drei Millionen Bewohnern habe dadurch nicht nur 33.000 Tote zu beklagen, was auf die Einwohnerzahl der BRD umgerechnet 600.000 Ermordeten entspräche, sondern auch immense materielle Schäden, die der Summe der Exporterlöse in einem Jahr gleichkommen. „Wegen eines Krieges, den niemand will“, habe Nicaragua Entwicklungspläne und soziale Projekte aufgeben oder verschieben und ein Wirtschaftsprogramm der extremsten Sparsamkeit verordnen müssen. Selbst für das nackte Überleben fehlt dem Land Geld: 300 Millionen Dollar nach Rechnung der sandinistischen Regierung, und, so der Botschafter weiter, „wir wollen diese 300 Millionen in Form von Materialien haben. Das genau ist die Kampagne Nicaragua muß überleben.“ Gesammelt wird nun in den USA, in Lateinamerika, in Kanada, Australien und Europa, wobei ein internationales Koordinationsbüro in Mailand die Güter zentral einkauft. In der Bundesrepublik wollen die Nicaragua–Komitees und ihre Unterstützer in erster Linie für Medikamente, Werkzeuge und Baumaterialien sammeln. „Nicaragua muß überleben - das ist ein Notschrei“, ergänzte auf dem Hamburger Podium der ehemalige Showmaster Dietmar Schönherr. „Das Gegenteil heißt nämlich: Das heutige Nicaragua muß sterben. Das ist das, was die Reagan–Administration will.“ Schönherr ist für seine Sitzblockade vor den Mutlanger Pershing– Depots zu einer Geldstrafe verurteilt worden, die er dann, so erzählte er, „zu einem ersten Beitrag für einen Nicaragua–Solidaritätsfonds umwandelte, für den ich inzwischen 300.000 Dollar gesammelt habe.“ Jetzt versucht er vor allem in Theatern die Gelder für ein Kulturprojekt in der Provinz Granada zusammenzubekommen. Auch Helmut Frenz ist in Nicaragua engagiert und eigens wegen der Podiumsdiskussion von dort zurückgekommen. „Der Krieg wird von der US–Regierung auf drei Ebenen geführt“, analysiert er, „militärisch, ökonomisch und ideologisch–moralisch, indem man der sandinistischen Regierung massivste Menschenrechtsverletzungen bis hin zur Folter und Massenverhaftungen vor wirft.“ Dahinter stehe ein „irrationaler Antikommunismus“. „Wir haben uns von unseren bürgerlichen Vorstellungen her daran gewöhnt, die individuellen Menschenrechte sehr hoch zu bewerten“, so Frenz weiter. Aber Gesundheit, Ausbildung oder die Abwesenheit von Hunger sei doch auch ungeheuer wichtig, und diese „kollektiven Menschenrechte werden kaum in einem anderen Land der Dritten Welt so gründlich beachtet wie in Nicaragua“. Er habe zwei Gefängnisse besuchen und mit den Gefangenen unter vier Augen sprechen können: „Keiner ist jemals gefoltert worden. Sollte das dennoch in Nicaragua vorgekommen sein, sind die Betreffenden verurteilt worden.“ Ähnlich sei die Lage bei den „Verschwundenen“: Mit dem Kriegsrecht sei das „Habeas– Corpus– Recht“, die behördliche Auskunfts– und Vorzeigepflicht von Verhafteten „bedauerlicherweise“ aufgehoben worden, aber „fast alle Verschwundenen sind in kurzer oder weniger kurzer Zeit wieder aufgetaucht“. Das aber, so erfuhr Frenz in einem Gespräch mit dem Vorsitzenden der nicaraguanischen Menschenrechtskommission in Managua, mochte diese Kommission nicht veröffentlichen. Die gutbesuchte Veranstaltung in der Kampnagelfabrik sollte allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, daß es auch Kritik an der Kampagne „Nicaragua muß überleben“ gibt. Das Bundestreffen der Nicaragua–Komitees jedenfalls lehnte es im Juni ab, sie zur zentralen Kampagne zu erheben, weil sie „unpolitisch“ sei und die Situation in anderen mittelamerikanischen Ländern wie El Salvador und Guatemala nicht berücksichtige. Daß sie kritiklose Solidarität leisten, mögen sich die Hamburger indes nicht nachsagen lassen. Denn das „unpolitische Spendensammeln“ könnte ja mittels Veranstaltungen wie in der Kampnagelfabrik „mit politischem Fleisch“ gefüllt werden, indem auf solch einem Forum auch die Zustände in anderen mittelamerikanischen Staaten thematisiert würden. Zentrales Spendenkonto: Informationsbüro Nicaragua, 976 738 Stadtsparkasse Wuppertal, Stichwort „Nicaragua muß überleben“.

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