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„Die Gewaltfrage ist im Grunde lähmend“

■ Am Wochenende tagt in Regensburg die Anti–Atom–Bundeskonferenz / Die taz sprach mit Wolfgang Ehmke, Alt–Aktivist der BI–Lüchow–Dannenberg, über Tschernobyl, die Bequerel–Bewegung und die Strukturen und Perspektiven der Anti–AKW–Bewegung

taz: Am Wochenende findet die Anti–Atom–Bundeskonferenz statt. Warum hat man es nicht geschafft, die sogenannte Becquerel–Bewegung, also all die Eltern–, Mütter– und Verbraucherinitiativen zu integrieren und auch für die BUKO zu gewinnen? Wolfgang Ehmke: Mit dieser Frage berührst Du einen Kernpunkt. Es gab ja in der Bewegung schon immer einen ähnlichen Konflikt, nämlich den zwischen Standort–Initiativen und städtischem Widerstand. An den Standorten hatten wir immer die stärkere soziale Mischung von Menschen, also auch konservative und bürgerliche AKW–Gegner. In den Metropolen kam der Protest vorwiegend aus der Jugendrevolte, war deshalb auch radikaler. Das AKW war ja dort nur Ausdruck für das gesamte marode System schlechthin. Tschernobyl hat diesen Widerspruch erneut zutage gebracht. Die schon totgeglaubten Standort–Initiativen arbeiten wieder, und zugleich ist das entstanden, was Du als „Becquerel– Bewegung“ beschreibst. Diesen Leuten geht es vorrangig um ihre Kinder, um ihr Wohlbefinden, um das, was man essen und trinken kann. Und da haben wir wieder den alten Konflikt zu den politisierten „alten Kämpfern“ in den Städten. Aber gerade diese Leute müssen doch politisiert und agitiert werden. Da hat man sicherlich eine Chance verpaßt. Der Schock von Tschernobyl hat doch selbst die katholische Kirche und sogar Teile der CDU aufgerüttelt. Vielleicht war es gar nicht möglich, dieses riesige Spektrum der Betroffenheit zu erfassen. Die Bewegung hat ja fast keine Organisationsformen mehr. Es gibt überre gional nur noch die Atommüll– Konferenz, dann das wissenschaftliche Umfeld, aber es fehlt eine politische Infrastruktur. Deswegen waren wir natürlich überfordert. Andererseits gibt es auch starke Berührungsängste gegenüber eher bürgerlichen Formen des Protests. Leider werden die Aktivitäten der Verbraucher– und Müttergruppen oft etwas spöttisch betrachtet. Das sind auch ganz verschiedene politische Kulturen: Die Szene hat ihre eigenen Umgangsformen entwickelt und fühlt sich wohl damit. Das ist allerdings auch ein Stück Ghettoisierung, und hier wurde tatsächlich eine Chance verpaßt, auf Menschen zuzugehen und sie für unseren Widerstand zu gewinnen. Vielleicht gibt es doch noch eine Chance, die Lektion von Tschernobyl politisch zu nutzen. Am Wochenende soll über neue Strukturen, aber auch über Aktionsmöglichkeiten diskutiert werden. Zu den Vorschlägen gehört auch eine Volksabstimmung. Siehst Du dafür eine Chance? Könnte das eine kraftvolle internationale Kampagne werden, parallel zu den Referenden im europäischen Ausland? Nein, dafür sehe ich kaum Chancen. Die Bewegung ist für solche Aktionen, für Unterschriftensammlungen, Petitionen, Volksabstimmungen usw. sicher nicht mehr zu begeistern. Das haben wir ja auch gemacht, das ist ja nichts Neues. Das wird aber schon deshalb wenig Zustimmung finden, weil es entgegen der Parole von der Vielfalt der Aktionen, die gleichberechtigt nebeneinander stehen, im Hinterkopf doch so etwas wie eine heimliche Hitparade der Aktionen gibt. Und hier bringt eben die action die satisfaction, hier haben militante Aktionen oder Blockaden einen höheren Stellenwert. Wenn man ehrlich ist, muß man allerdings sagen, daß weder militante noch streng gewaltfreie Aktionen letztlich erfolgreich waren. Weder in Brokdorf, dem Symbol des militanten Widerstands, noch in Gorleben, dem Mekka der Gewaltfreien, konnten die Atompläne gestoppt werden. Die Gewaltfrage ist im Grunde nur lähmend. Stattdessen muß man endlich die Mischung und Vielfalt der Aktionen akzeptieren. In dem Reader zur Bundeskonferenz mit den Vorab–Beiträgen kommt der Super–GAU von Tschernobyl gar nicht mehr vor. Zugleich wird in einem Vorwort beklagt, daß „der Eindruck von Tschernobyl verblaßt“. Heute werden ja mit einer ungeheuren Schnelligkeit aus Katastrophen Metaphern. Man kann eigentlich nach dem was geschehen ist, überhaupt nicht begreifen, daß Tschernobyl schon ein halbes Jahr später aus den Köpfen verschwunden ist. Trotzdem sehe ich das nicht so negativ. Die Atomindustrie hat nämlich ihre Legitimationskrise noch nicht überwunden. Da gibt es für uns noch Möglichkeiten. Auch die Gewerkschaften und die SPD haben sich ja nach Tschernobyl sehr weit vorgewagt. Über SPD und Gewerkschaften wird in dem BUKO–Reader kein Wort verloren. Stattdessen werden altbekannte Positionen gebetsmühlenhaft wiederholt, wird die eigene Ingroup bestätigt und die Atom–Mafia moralisch gegeißelt. Ein bißchen wenig, nach mehr als zehn Jahren Bewegung? Da ist mir deine Kritik zu hart. Wenn ich den Reader durchlese, finde ich sehr wohl auch was Neues. An vielen Standorten rührt sich was. Es sind neue Diskussionen um den Hochtemperaturreaktor, um Cattenom, um Krümmel in Gang gekommen. Die Atomgemeinde kann noch nicht zur Tagesordnung übergehen. Daß das nicht passiert, liegt an uns, und es hängt auch einiges von diesem Wochenende ab. Wir müssen begreifen, daß wir nur ein Ausschnitt aus der Anti–AKW–Bewegung sind. Es gibt Bio–Bauern, es gibt Eltern– Initiativen, und es gibt diesen ganzen Gesundheitsbereich, Teile der Gewerkschaften usw., die alle aus dem Atomprogramm rauswollen. Das müssen wir ernst nehmen, da müssen wir uns Bündnis–Möglichkeiten ansehen, und dann haben wir eine Chance. Das Gespräch führte Manfred Kriener.

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