: Der gläserne Demonstrant
■ Schlußbericht zum Mainzer Kessel / Teilnehmer an Anti–Schah–Demo aus den 60er Jahren immer noch gespeichert / Polizei kennt keinerlei Datenschutz
Aus Mainz Felix Kurz
In Rheinland–Pfalz bahnt sich ein neuer Datenschutzskandal an. Die Einkesselung und Massenfestnahme von 63 Demonstranten in Mainz am 16.9. begründete der rheinland–pfälzische Innenminister Kurt Böckmann (CDU) unter anderem mit „polizeilichen Erkenntnissen“ wie der Teilnahme an einer Anti–Schah–Demonstration in Frankfurt vor sage und schreibe 19 Jahren! Von den nach Ansicht der SPD– Fraktion „rechtswidrig“ festgehaltenen 63 Personen lagen gegen 22 Demonstranten überhaupt keine Erkenntnisse vor. Von den übrigen 41 wußte die Polizei zu berichten, daß sie mal „schwarzgefahren“ seien, daß einem der Vorwurf des Ladendiebstahls gemacht wurde und gegen einen anderen ein Ermittlungsverfahren wegen des Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetzes anhängig sei. Die „Erkenntnisse“ bei anderen Demonstranten waren z.B. das Verteilen von Flugblättern vor einer Schule aus dem Jahre 1972. Gegen zehn Teilnehmer der Spontandemonstration lägen auch Hinweise vor, daß sie zum erweiterten Umfeld der RAF zu rechnen seien. Diese „schwere Kundschaft“, so der Vorsitzende des rheinland– pfälzischen Innenausschusses des Landtages, Karl Geimer (CDU), habe die Polizei dazu veranlaßt, die 63 Teilnehmer einer rund 100 Personen starken Demonstrantengruppe einzukreisen. Die Festgehaltenen wurden teilweise erkennnungsdienstlich behandelt und einige bis zu sechs Stunden in einem Gefangenenbus aufbewahrt. Für den Ausschußvorsitzenden Geimer war die Polizei durch die Teilnehmer der Demonstration „zu Überreaktionen bewußt provoziert“ worden. Fortsetzung auf Seite 2 Zuvor hatte sich nämlich eine ordnungsgemäß angemeldete Demonstration von mehreren hundert Menschen gegen die Tagung der Atlantischen Gesellschaften (ATA) im Mainzer Hilton aufgelöst. Geimer: „Wenn junge Menschen sich diesen Spaß erlauben, haben sie auch die Folgen zu tragen“. Die gesammelten „Erkenntnisse“ habe die Polizei von ihren Kollegen aus anderen Bundesländern und Bundesbehörden wie dem Verfassungsschutz erhalten. Der Rechtsexperte der SPD– Opposition, Michael Reitzel, zeigte sich „schockiert und verärgert“ über diesen Vorgang. Reitzel fragt sich, wie denn bei einer Demonstration Informationen über Personen wie der Verdacht eines Ladendiedstahls oder ein Ermittlungsverfahren im Zusammenhang mit einer Beleidigung an die Mainzer Polizei gelangen konnte. Das sei offensichtlich der feine Unterschied zwischen der Löschung von Daten und der Vernichtung von Erkenntnissen, so Reitzel. Reitzel griff vor allem den Staatssekretär im rheinland–pfälzischen Innenministerium, Basten scharf an, der der Polizei einen Persilschein im Falle des Mainzer Kessels noch vor der gestrigen abschließenden Sitzung des Innenausschusses ausgestellt hatte. Basten sei ein „Jungfaschist“ und „fördere faschistoide Grundhaltungen“, sagte Reitzel. Doch letztendlich beerdigte der Ausschuß einvernehmlich die Auseinandersetzungen um den Mainzer Kessel.
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