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„An Produkten darf kein Blut kleben“

■ Dreitägiger Kongreß „Gesundheit ist mehr“ in Hamburg beendet / Macht Robin Wood demnächst gemeinsame Aktion mit DGB? / „Tschernobyl“–Initiativen beklagten „Diskriminierung“

Aus Hamburg Ute Scheub

Ein ganz normaler, etwas schmuddeliger Eisenbahnwaggon - aber der Mensch davor, der gerne einsteigen möchte, reicht nicht an die Türklinke heran. Das großformatige Foto weist auf „die alltäglichen Probleme von Minderwüchsigen“ hin. Es hängt am Stand des „Vereins kleiner Menschen“, in der jede/r Mitglied werden kann, der unter 150 cm mißt. 50.000 von ihnen gibt es bundesweit, erfahre ich am Infotisch. Fragwürdiger Begriff Gesundheit „Vorurteile abzubauen“, ist ein anderes Ziel des Vereins. Unsere Gesellschaft, die sich ja zu gern täglich von der jungen, fröhlichblonden Rama–Familie beeindrucken läßt, hat bekanntermaßen nicht erst seit heute die Tendenz, jene, die nicht normal hochgewachsen, halbwegs schlank und arbeitsfähig sind, schlicht auszugrenzen. Der „Verein kleiner Menschen“ ist deswegen nur einer von zahlreichen Selbsthilfegruppen, die sich auf dem „Projektemarkt“ bei der am späten Sonntag nachmittag zu Ende gegangenen Tagung „Gesundheit ist mehr - Soziale Netzwerke für eine lebenswerte Zukunft“ einem Publikum von etwa 2.500 Menschen aus Hamburg, dem Bundesgebiet und dem Ausland präsentiert haben. Fragwürdig ist der gesellschaftliche Begriff von Gesundheit auch sonst. Daß Gesundheit eben viel mehr ist als das Verwalten und Kurieren von Krankheitssymptomen durch ein technologisch hochgerüstetes Gesundheitssystem ist, daß sie menschliche Kommunikation und ein intaktes Sozial– und Arbeitsleben miteinschließt, war ein Hauptanliegen der Initiatoren der Tagung vom „Forschungsprojekt Gemeinde bezogene Netzwerkförderung“ am „Institut für Medizin–Soziologie“ der Universität Hamburg. Sie hatten in einer umfangreichen, vom Bundeswissenschaftsministerium mitfinanzierten Untersuchung fast 500 Hamburger Initiativen und Projekte nach ihrem Beitrag und ihren ideellen und materiellen Bedürfnissen in Hinblick auf jene soziale Gesundheitsförderung befragt und wollten mit dieser „Zukunftswerkstatt“ ihre Ergebnisse an die Befragten zurückvermitteln. Verdrängte Gesundheitsschäden Nicht alles von dem umfangreichen dreitägigen Programm lohnte sich, zu besuchen. Die zentralen Podiumsdiskussionen waren recht langweilig und das Forum „Ganzheitlichkeit - ein neuer Mythos?“ völlig überfüllt. Die Arbeitsgruppe „Krank durch unseren alternativen Alltag?“ fiel leider ganz aus. Dafür landete ich bei dem hochinteressanten Diskussionsforum „Bildung von Koalitionen für gesündere Lebensbedingungen“, in dem Vertreter/innen der Verbraucherzentrale, des DGB– und AOK–Krankenkassen vorstands in Personalunion, der „Hamburger Ärzteopposition“, von „Robin Wood“ und vom Betriebsrat des umweltvergiftenden „Reynolds“–Aluminiumwerks mögliche neue Bündnisse zur Schaffung entgifteter Arbeits– und Umweltbedingungen diskutierten. „Der Großteil der Schadstoffe“ verläßt nach Einschätzung von Betriebsrat Peter Camin nämlich „nicht durch den Kamin, sondern stempelnd durch das Werkstor das Unternehmen“. Allerdings sei bei dieser Gesundheitsgefährdung „der Verdrängungseffekt in der Fabrik stärker als draußen“, wobei das „Mackertum“ bei Industriearbeitern (“Was uns nicht umbringt, macht uns stärker“) auch eine wesentliche Rolle spiele. Der Betriebsrat forderte deshalb, daß es „ein moralisches Prinzip“ für Verbraucher/innen werden müsse, nicht nur giftige Produkte zu vermeiden, sondern auch gereinigte zu boykottieren, an denen aber „das Blut“ oder die Gesundheit „der Produzenten klebt“. Die Vertreterin der Verbraucherzentrale versprach, darüber nachzudenken, ob das nicht ein ganz neues Gütekriterium für ihre Institution werden müsse. Daß „Schmutzgeld–Zulagen, mit denen die Gesundheit der Arbeitnehmer/innen abgekauft wird“, „verboten“ gehören, fand auch der DGB– und AOK–Vertreter Joachim Steffens. Volker Lange von „Robin Wood“, der vor allem „pragmatische Bündnisse“ befürwortete, sichtlich beeindruckt von einem Hintergrundgespräch mit US–Aktivisten der „National Campain against Toxic Hazards“, die mit 10.000 Mitgliedern von Haustür zu Haustür ziehend eine ganz andere Schlagkraft als hiesige chemiekritische Initiativen entfalten können, bot dem DGB–Vorstandsmitglied schließlich die speziellen Kompetenzen seiner Organisation in der Öffentlichkeitsarbeit an, was jener wohlwollend zur Kenntnis nahm. Wird es nun demnächst eine gemeinsame Robin–Wood–DGB–Aktion zu gesünderen Arbeitsbedingungen geben? Weniger spektakulär, dafür noch mehr an der konkreten Sache orientiert, ging es in den vielen kleinen Arbeitsgruppen wie zum Beispiel „Tschernobyl und die Folgen“ zu, in der sich verschiedene in Hamburg und anderswo neugegründete Initiativen wie „Aktion stillende Mütter“ oder „Mütter und Väter gegen Atomenergie“ zu engerer Zusammenarbeit verabredeten. Hier wurde die Vorgehensweise der alten Anti–AKW–Bewegung gegenüber den „Becquerellis“ auf das heftigste beklagt. „Den Vorwurf der Alten, wir sollten endlich was fürs Abschalten tun“, formulierte ein Vertreter, „habe ich schon früher bei den Leuten gehört, die der Frauenbewegung vorhielten, mit dem Sozialismus sei auch die Frauenfrage gelöst“. Aber „warum sollen wir uns überhaupt an den Alten orientieren“, fragte eine Frau. „Wir brauchen doch vor allem Widerstandsformen, die so alltäglich sind wie das Zähneputzen.“

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