: Das schwierige Erbe der Brüder Cabral
■ Sechs Jahre nach seiner Machtübernahme in Guinea–Bissau erweitert Präsident Joao Bernardo Vieira die „Kurskorrektur“ auch auf die Wirtschaftspolitik Der seit 1974 verstaatlichte Außenhandel des kleinen westafrikanischen Landes soll erneut dem privaten Sektor zugänglich gemacht werden
Von Knut Pedersen
Bissau (taz) - Es gibt Länder in Afrika, von denen nie einer spricht. Guinea–Bissau gehört dazu, jedenfalls seit das Interesse an nationalen Befreiungskriegen in der Dritten Welt eher „retro“ ist und die Schriften Amilcar Cabrals in den hinteren Reihen linker Hausbibliotheken verstauben. Aber wenn heute das von knapp einer Million Menschen bevölkerte Land, das immerhin so groß ist wie Belgien, erneut als „quantite negligeable“ erscheint, dann liegt das nicht unbedingt ausschließlich am schwindenden revolutionären Elan in den „Metropolen“ oder an der Sensationslust medialer Berichterstattung. Denn auch auf der anderen Seite, d.h. vor Ort, hat sich einiges verändert, und das kann man ja zumindest zur Kenntnis nehmen. Ich wäre beispielsweise meinem Reisebüro in Paris dankbar gewesen, hätte man dort zur Kenntnis genommen, daß die bissau–guineische Fluglinie bereits seit zwei Monaten außer Betrieb ist: es fehlen Ersatzteile für die beiden, ohnehin abenteuerlichen Flugapparate. Das aber erfuhr ich erst in Dakar, von wo aus ich dann mangels Alternative nur nach Ziguinchor, Hauptstadt der südsenegalesischen Provinz Casamance fliegen konnte. Dort traf ich am Flughafen einen verschwitzten älteren Herrn namens Ibrahim Khadra, der sich als Vorsitzender des höchst aktiven „Vereins der Bissau–Guineer im Senegal“ entpuppt. Und während ich in seiner schattigen Villa Photoalben studierte, in denen Herr Khadra Arm in Arm mit dem heutigen Präsidenten Joao Bernardo Vieira Reden hält oder Bier trinkt, stellte man mir im örtlichen Konsulat ein Visa aus uns schließlich die Peugeot–Limousine des Konsuls zur Verfügung, um möglichst rasch und bequem nach Bissau zu kommen. Für „Nino“, wie man dort anhänglich den Präsidenten nennt, wollte man gern Himmel und Erde in Bewegung setzen, und im übrigen freute man sich, das „endlich Journalisten kommen“. Was freilich nichts daran änderte, daß man mir die neuen Zündkerzen sowie 60 Liter Benzin fakturierte, sodaß mich die Reise doppelt soviel kostete wie ein gemietetes Taxi. Aber die Zeiten sind nun einmal beschwerlich, und so gehen Freundschaft und Wirtschaft getrennte Wege. Zehn Stunden später in Bissau konnte mich allerdings auch die bemerkenswerte Freundlichkeit meiner Gastgeber nicht darüber hinwegtrösten, daß in der Hauptstadt mal wieder der Strom ausgefallen war und im „Gran Hotel“ leider auch das Wasser nur in Tropfen floß: „Es reicht ja immerhin zum Zähneputzen“, sagte mein Kerzenträger, während ich mir den Pistenstaub aus den Kleidern schlug... Parteitag im November Kein Wunder, daß heute in Guinea–Bissau nur noch von Wirtschaftsproblemen die Rede ist. Vor dem 4. Kongreß der Einheitspartei PAIGC (partido africano da independencia da guine e cabo verde), der vom 9. bis 14. November in Bissau stattfand, hat Präsident Vieira seine bereits vor Monaten angekündigte wirtschaftspolitischen Reformen vertreten: Das seit 1974 bestehende Außen handelsmonopol des Staates soll - mit Ausnahme der Einfuhr von Reis und Benzin - nun zugunsten des privaten Sektors abgeschafft werden. Und Privatinitiative soll auch endlich die marode Landwirtschaft kurieren, die nach wie vor 80 Prozent der Bevölkerung beschäftigt. Aber in Guinea–Bissau produzieren die Bauern nurmehr für ihren eigenen Bedarf oder den ungleich lukrativeren Markt in den Nachbarländern, vor allem Senegal, seitdem Vater Staat die Landbevölkerung zu Kooperativen zusammengeschlossen hat und die Kommerzialisierung landwirtschaftlicher Produkte ausschließlich in eigener Regie betreibt. Die Folge: Seit der Unabhängigkeit des Landes 1973 ist die landwirtschaftliche Nutzfläche um 25 Prozent zurückgegangen. 1985 wurden von der landwirtschaftlich nutzbaren Anbaufläche nurmehr acht Prozent tatsächlich bestellt, ein Prozentsatz, den man mit einem europäischen Agrarland wie Frankreich vergleichen kann, wo im gleichen Jahr 32 Prozent des verfügbaren Bodens abgebaut wurden. Liberalisierung der Wirtschaft Seitdem Präsident Vieira im vergangenen Juli eine gründliche Liberalisierung der bissau–guineischen Wirtschaft angekündigt hat, ist die vormals katastrophale Versorgungslage in den Städten bereits spürbar besser geworden: Pünktlich zum Parteitag fanden sich denn auch auf dem Markt der Hauptstadt Waren, die man dort seit Jahren vergeblich gesucht hatte, so z.B. Waschpulver, Jeans und Whiskey. Die Händler bleiben freilich skeptisch, denn die Öffnung der Importschranken hat die heimische Währung in den Keller gestoßen. Offiziell tauscht sich der bissau–guineische Peso im Verhält nis von 100 Pesos für eine DM, aber auf dem florierenden Schwarzmarkt bekommt man für seine solide DM inzwischen beinahe 300 Pesos. So träumt denn auch der berühmte Mann auf der Straße vom baldigen Eintritt in die „Franc–Zone“, d.h. die von Frankreich kontrollierte und garantierte CFA–Währungszone in Afrika. Aber dem stehen eine Reihe technischer und vor allem finanzieller Hindernisse im Weg. Dank der unbestreitbaren Francophilie der ehemals portugiesischen Kolonie erwägt man in Paris den Beitritt Guinea–Bissaus zwar durchaus mit Wohlwollen, zumal das Land über Phosphat– und Bauxitvorkommen verfügt und in absehbarer Zeit off–shore jährlich rund sieben Millionen Tonnen Öl fördern könnte, aber diese Entwicklungsperspektiven ändern nichts daran, daß Frankreich zumindest kurzfristig nicht in Erwägung zieht, die bissau–guineische Wirtschaft und den maladen Peso an die Währungskrücke zu nehmen. Zunächst soll ein Anfang aus eigener Kraft gemacht werden, und genau in diese Richtung gehen die vom Präsidenten vorgelegten Sparmaßnahmen: die ausufernde Bürokratie, die derzeit in Guinea– Bissau drei Viertel der Staatsausgaben verschlingt, muß fortan mit einem absoluten Einstellungsstopp und einer strengen Kontrolle der Beförderungen leben. Nach elf Jahren Befreiungskampf Privatisierung Privatisierung und Austerität sind freilich ungeliebte Gäste, zumal in einem marxistischen Land, das den „arbeitenden Massen“ nach der Befreiung vom kolonialen Joch Prosperität und Wohlstand sichern wollte. Die Vermutung ist alles andere denn abwegig, daß manch einer der 312 Delegierten auf dem PAIGC–Parteitag mit weltanschaulichen Bauchschmerzen gerungen hat, vor al lem wenn man bedenkt, daß zwei Drittel der Anwesenden bereits seit über zwanzig Jahren der Partei angehören. Es handelt sich in der Tat um die alte, historische Garde der PAIGC, die mit den progressistischen Schlagwörtern und ideologischen Leitmotiven die glorreiche Vergangenheit des nationalen Befreiungskampfes verbindet: Elf Jahre bewaffneten und erbitterten Kampfes gegen eine Kolonialmacht, die sich fünf Jahrhunderte lang herzlich wenig um Guinea–Bissau gekümmert hat: Das koloniale „Erbe“ nach der Unabhängigkeit erschöpfte sich in 400 km asphaltierter Straße und... einer Brauerei, und was die Ausbildung einer lokalen Elite betrifft, so genügt es daran zu erinnern, daß vor der Unabhängigkeit in Bissau selbst die Taxifahrer Portugiesen waren. Politisch bedeutet das heute für den Präsidenten Vieira, daß er einerseits versuchen muß, das hi storische Ansehen Amilcar Cabrals zu bewahren, der 1956 mit einer handvoll Gleichgesinnter die PAIGC gründete und zum Vorbild einer ganzen Generation afrikanischer Befreiungskämpfer wurde, bevor er am 20. Januar 1973 in Conakry einem Attentat zum Opfer fiel. Schritthalten mit dem historischen Vorbild Aber andererseits muß Vieira auch den Bruch mit Amilcars Nachfolger und Halbbruder, Luis Cabral, verständlich machen. Denn schließlich war er es, der vor sechs Jahren Luis Cabral mittels Militärputsch seines Amtes beraubte, um sein Land davor zu bewahren, zum „Albanien Westafrikas“ zu werden. Und der Staatsstreich vom 14. November 1980 kam darüber hinaus einer zweiten Entkolonialisierung gleich: dieses Mal nicht gegenüber dem portogiesischen Kolonialherren, sondern aus Opposition zu der Staat und Partei beherrschenden capverdianischen Elite. Seit 1980 gehen Guinea–Bissau und die Cap Verdischen Inseln getrennte Wege, und „Nino“ Vieiras unbestreitbare Popularität auf dem Festland rührt unter anderem aus dem Umstand, daß er mit den meisten seiner Landsleute einen soliden Minderwertigkeitskomplex gegenüber den „evoluierten“ Cap Verdianern teilt. Joao Bernardo Vieira ist - im besten Sinne des Wortes - ein einfacher Mann, er stammt aus der Hauptstadt Bissau, wo er sich als Halbwaiser unter schwierigen Umständen durchschlug, bevor er schließlich als Elektriker in die Lehre ging, er gehörte zu den ersten, die den Guerillakampf für die nationale Unabhängigkeit aufnahmen und lange Zeit kommandierte Vieira mit Bravour die „südliche Front“, d. h. den Hauptkampfplatz, insofern Sekou Toures Guinea der PAIGC als operationelle Basis diente. Das alles sichert ihm eine historische Legitimität, die so leicht nicht zu erschüttern ist. Aber andererseits begeht Vieira heute in den Augen orthodoxer Marxisten mindestens dreimal täglich Häresie, und es ist politisch auch alles andere denn ungefährlich, an den Privilegien der Staatsbürokratie zu rütteln. Zumal in einem der ärmsten Länder der Erde, in dem auf jedem Amtsschimmel unzählige Familien sitzen. Prüfstein für den neuen Präsidenten Im vergangenen Juli hat Präsident Vieira trotz zahlreicher Bitten um Gnade aus dem Ausland den früheren Vize–Präsidenten Paolo Correia und fünf andere Protagonisten eines gescheiterten Putschversuchs standrechtlich erschießen lassen. Nach eigener Aussage wollte er damit ein politisches Zeichen setzen: zum einen gegenüber dem „tribalistischen Anschlag auf die Staatssicherheit“ - praktisch alle im Zusammenhang mit dem Putschversuch im Oktober 1985 festgenommenen Personen gehören dem Balante–Stamm, d. h. dem volkreichsten Stamme Guinea– Bissaus, an. Aber das politische Zeichen galt darüber hinaus auch all denen, die sich Vieiras „Kurskorrektur“ in den Weg zu stellen gedenken. In diesem Sinne werden Erfolg oder Scheitern des neuen wirtschaftspolitischen Kurses zweifellos zum Prüfstein werden.
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