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Die Lügen des Walter Wallmann

■ Wie der Umweltminister ein Gutachten des Umweltbundesamtes „uminterpretiert“ / Hohes Krebsrisiko durch Dieselabgase abgestritten / Eine Expertertagung des Berliner Amtes wurde schlicht ignoriert / Diesel–Autos weiter steuerbegünstigt

Von M. Kriener u. A. Kintzinger

Berlin(taz) - Mitarbeiter des Umweltbundesamtes sind sauer: Umweltminister Walter Wallmann (CDU) hat seine eigene Behörde, auf eine „unglaubliche Art und Weise“ desavouiert und die Bundespressekonferenz am Dienstag vorsätzlich angelogen. Der taz vorliegende Protokolle und Gutachten belegen dies zweifelsfrei. Wallmanns Aussage zu den angeblich nicht bewiesenen Risiken der Diesel–Abgase, mit der er sich ausdrücklich auf das Berliner Amt beruft, steht in krassem Gegensatz zu der ihm vorliegenden Stellungnahme eben dieses Amtes. Und die kennt der Minister seit Anfang November. Wallmann am Dienstag in Bonn: Die Abgase von Dieselfahrzeugen hätten keineswegs krebserregende Wirkungen, Diesel– Autos gälten daher zurecht als schadstoffarm und würden dementsprechend steuerlich bevorzugt. Wissenschaftliche Erkenntnisse über das Gegenteil gebe es nicht, das habe ihm das Umweltbundesamt in Berlin bestätigt. Doch das Gegenteil ist der Fall: Dem neuen Bonner Ministerium liegt seit dem 6. November das Protokoll einer Fachtagung im Bundesumweltamt vor, bei der sich Wissenschaftler verschiedener Einrichtungen wie dem Fraunhofer– und dem Batelleinstitut, dem Bundesgesundheitsamt, dem Bonner Verkehrsministerium, der Automobilindustrie unter der Leitung des früheren Chefs des Bundesgesundheitsamtes, Prof. Georges Fülgraff über die Krebsgefährdung durch Diesel–Abgase diskutierten. Das Wallmann–Ministerium war zwar auch eingeladen, glänzte jedoch durch Abwesenheit. Die anwesenden Experten waren sich einig: Bei Tierversuchen an Ratten und Mäusen zeigten sich Tumorbildungen im Atemtrakt und im Lungenbereich. Prof. Pott vom Medizinischen Institut für Umwelthygiene in Düsseldorf sieht eine „sufficient evidence (ausreichende Wahrscheinlichkeit - d.Red.) für die Kanzerogenität (Krebsgefahr) von Dieselmotorabgas für Versuchstiere, aus der sich im Grundsatz automatisch eine wahrscheinlichkeitserzeugende Wirkung im Menschen ableitet.“ Ein anderer an der Tagung beteiligter Wissenschaftler, Dr. Heinrich vom Fraunhofer–Institut, konnte auch den Hauptauslöser ausmachen: den in den Abgasen enthaltenen Ruß, die „massive Ablagerung von Partikeln in der Lunge mit entsprechenden Gewebsreaktionen.“ Durch das Zusammenwirken der im Diesel–Abgas enthaltenen krebserregenden Stoffe mit den Partikeln komme es „zu einer Tumorinduktion“. Das Resumee von Prof. Pott läuft Wallmanns Aussagen frontal entgegen: „Dieses geschätzte Risiko durch Dieselmotorabgas ist im Vergleich zu demjenigen aus anderen luftverunreinigenden Stoffen relativ hoch.“ Und zwar so hoch „wie das, das nach der Abschätzung durch die GSF (Gesellschaft für Strahlenforschung) durch Tschernobyl im Raum von München verursacht wurde.“ Hier wurden nach dem nuklearen Fallout Anfang Mai die höchsten Werte gemessen. Fortsetzung auf Seite 2 Denn das Fachgespräch am 3. 11. im Umweltbundesamt war nur eine von mehreren Fachtagungen, bei denen das krebserregende Potential der Diesel–Abgase von Wissenschaftlern bestätigt wurde. Weltweit gibt es bisher vier anerkannte Arbeiten, in denen anhand von Tierversuchen die Wirkungen von Dieselabgas untersucht wurden. Alle vier wurden von der Industrie in Auftrag gegeben, alle vier bestätigen die im Grundsatz krebserregende Wirkung von Dieselabgas. Im Herbst des vergangenen Jahres fand hierzu in Mexiko eine internationale Fachtagung statt. Im Februar 1986 war die Gefahr durch Diesel–Abgas Thema auf der Münchener Krebskonferenz. Auf beiden Veranstaltungen wurde unüberhörbar auf die Risiken durch die Dieselabgase hingewiesen. Die Bundesregierung wurde vom Umweltbundesamt kontinuierlich über diese wissenschaftliche Diskussion und ihre brisanten Ergebnisse unterrichtet. Vergeblich: Unter völliger Ignoranz der wissenschaftlichen Sachstandsberichte stufte Innenminister Zimmermann Dieselfahrzeuge grundsätzlich als schadstoffarm ein und hievte sie ab 1.1.86 in die steuerbegünstigte Klasse. Seitdem wird der krebserregende Ausstoß von 2,5 Mio. Dieselfahrzeugen in der Bundesrepublik staatlich subventioniert und gefördert.

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