: Britische Atomlobby in Aktion
■ Mit hohen Bedarfsprognosen drängt die Elektrizitätsindustrie auf den Bau weiterer Atomkraftwerke / Modell Three Mile Island steht zur Entscheidung
Aus London Rolf Paasch
Neue Zahlen der britischen Elektrizitätsindustrie über den zukünftigen Stromverbrauch haben in Großbritannien die Debatte über den Bau weiterer Atomkraftwerke wieder angeheizt. Den jüngsten Projektionen des „Elektrizitäts– Rats“ zufolge soll die angebliche Kluft zwischen Angebot und Nachfrage bis zum Ende des Jahres um 50 Prozent größer sein als bisher angenommen. Um den steigenden Elektrizitätsbedarf auch im nächsten Jahrhundert befriedi gen zu können, drängen die Stromapostel auf ein sofortiges Bauprogramm von mindestens vier Atom– und fünf Kohlekraftwerken. Geschätzter Kostenpunkt: 15 Mrd. Pfund (rund 45 Mrd. DM). Die Neuberechnungen des Strombedarfs durch die Industrie werden ausgerechnet zu einem Zeitpunkt bekannt, wo der britische Energieminister Peter Walker in den nächsten Wochen über den Bau des ersten Hochwasserdruckreaktors (PWR) in Großbritannien entscheiden muß. Am Samstag wurde dem Minister der 100 kapitel schwere Abschlußbericht über die öffentliche Anhörung zum geplanten Bau des PWR im ost–englischen Sizewell vorgelegt. Bis heute weiß niemand, ob der „unabhängige“ Vorsitzende der Anhörung und Autor des Mammut–Reports, Sir Frank Layfield, seine Betrachtungen über den „Three–Mile–Island–Nachfolger“ der amerikanischen Firma Westinghouse mit einem empfehlenden „Ja“ oder „Nein“ gekrönt hat. Trotz aller atomaren Versprechungen der Regierung Thatcher ist in Großbritannien seit 1978 kein einziges Atomkraftwerk mehr in Auftrag gegeben worden. Elektrizitäts– und Atomindustrie erhoffen sich deswegen nach dem Sizewell–Report vom Energieminister grünes Licht für den nächsten Kernkraft–Boom. Die Elektrizitätsindustrie, so interpretierte George Pritchard von „Greenpeace“ die neuen Strombedarfs–Prognosen, „will die Entscheidung des Ministers beeinflussen, wo ihm gerade der Abschlußbericht zu Sizewell vorgelegt worden ist“. Und ein Sprecher der „Friends of the Earth“ wies darauf hin, daß die Atomkraft– Apologeten ihre Nachfrageprognosen über die letzte Dekade durchschnittlich um 26 Prozent zu hoch angesetzt haben. Der „Elektrizitäts–Rat“ geht in seinen neuen Berechnungen von einer jährlichen Bedarfssteigerung von 1,5 statt bisher 1,4 legen allerdings aus Zeitgründen alles andere nahe, als den Bau von Atomkraftwerken. Nimmt man die bisherige Bauzeit britischer AKWs von maximal 17 (!) Jahren zum Maßstab, dann würden die geforderten AKWs die bereits für 1993 benötigte Kapazitätsleistung erst im nächsten Jahrtausend erbringen.
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