piwik no script img

Schon basteln Genossen an der Nach–Rau–Ära

■ Hinter vorgehaltener Hand diskutiert man in der SPD über Oskar Lafontaine als möglichen Thronfolger / Einzelne Mitglieder wollen Öffnung zu Grünen

Aus Bonn Tina Stadlmayer

Bonn (taz) - „Johannes Rau ist genau der rechte Kandidat für den Advent“ meint der Fraktionsvorsitzende Hans–Jochen Vogel. Dieses „Kompliment“ birgt einiges an Enttäuschung und an Resignation. Gegenüber der taz erläuterte Vogel: „Ich halte mich mit Ratschlägen an den Kandidaten zurück. Es bringt ja auch nichts, wenn die Leute den Eindruck bekommen, ein Mensch läßt an seinem Bilde zupfen“. Drei Wochen nach dem Hamburger Desaster herrscht also immer noch der große Frust in der Partei? Brechen die alten Grabenkämpfe wieder auf? Zugeben will (und darf) das natürlich keiner. Es ist jedoch offensichtlich, daß „zwei Strömungen“ (Holger Börner) in der SPD wieder stärker aufeinanderprallen. Die konservativen Rau–Anhänger auf der einen Seite - auf der anderen die „Jungen Linken“. An der Gretchenfrage „Wie hältst dus mit den Grünen?“ scheiden sich die Geister. Einzelne Präsidiumsmitglieder wie Peter von Oertzen und Heide Wieczorek–Zeul plädierten nach der Hamburg–Wahl für eine Öffnung Richtung Grüne. Auch der von Bundesgeschäftsführer Peter Glotz ausgewählte Chefredakteur der SPD–Wahlkampfzeitung, der Münchner Rechtsanwalt Christian Uhde, gilt als „grün angehaucht“. Erhard Eppler und Gerhard Schröder sprachen sich dafür aus, nach der Wahl über eine Zusammenarbeit mit den Grünen nachzudenken. Schröder salomonisch: „Die Identität der Partei ist keine, die man über Bündnisse herstellt, aber auch nicht dadurch, daß man sie abblockt.“ Aber Rau blockt: „Die Grünen sind bundesweit nicht vertragsfähig und nicht reformfähig.“ Willy Brandt und Hans–Jochen Vogel haben sich in dieser Frage (jedenfalls bis zur Wahl) hinter Rau gestellt. Dennoch hat Brandt seinen Glauben an eine Mehrheit links von der Mitte nicht aufgegeben. Immerhin erteilte er den „Realos“ bei den Grünen in seiner letzten Bundestagsrede den Rat schlag, sich von den „Fundis“ und deren „Lust an der Ohnmacht“ zu lösen. Und Vogel erklärte gegenüber der taz: „Ich will nicht ausschließen, daß man mit dem einen oder anderen auch zusammenarbeiten könnte.“ Thronfolger in Sicht Hinter vorgehaltener Hand ist inzwischen in der SPD die Diskussion über die „Thronfolger“ bereits in vollem Gange. Oskar Lafontaine, der saarländische Ministerpräsident, ist im Gespräch als nächster Kanzlerkandidat und auch als Nachfolger Willy Brandts. Doch solche Spekulationen gelten zur Zeit als Ketzerei. Die Bonner Journalisten wissen inzwischen einiges über Unstimmigkeiten in der SPD–Zentrale. Aber alles, was dazu in Hintergrundgesprächen laut wird, bekommt den Stempel „unter Drei“, das heißt es darf nichts darüber geschrieben werden. Einzig die „Quick“ hat sich nicht daran gehalten und über einen Riesenstreit zwischen Brandt und Rau berichtet. Prompt hat sie aus der SPD– Zentrale ein Dementi kassiert. Eines steht jedoch fest: Der Kanzlerkandidat war nach der Hamburg–Wahl auf Willy Brandt nicht gut zu sprechen. Der Parteivorsitzende hatte verkündet, es gelte jetzt den Durchmarsch der Schwarzen zu verhindern. Einen Tag später bedauerte er diese Äußerung dann allerdings: „Ich bin ein bißchen mitverantwortlich dafür, daß der Eindruck entstanden ist, wir wollten nun nur noch eine absolute Mehrheit der CDU verhindern.“ Doch auch Peter Glotz hatte vom befürchteten „Durchmarsch“ gesprochen und Egon Bahr verkündete: „Wir kämpfen nicht mehr um die Mehrheit.“ Kandidat ohne Namen Vorstandssprecher Clement riet dem Kandidaten, zurückzutreten, denn eine Partei, die nicht um die Mehrheit kämpfe, brauche keinen Kanzlerkandidaten. Als dieser dennoch durchhalten wollte, trat Clement selbst zurück und fungiert seitdem als Raus per sönlicher Berater. In dieser Funktion wird er sich während der letzten Tage noch häufig über die Genossen im Wahlkampf geärgert haben. Die haben zwar (zähneknirschend) akzeptiert, daß Johannes Rau partout nicht bei der Generaldebatte im Bundestag auftreten wollte. Auch verlangt nun niemand mehr von ihm, aggressiver zu sein und „zurückzuholzen“ (Gerhard Schröder), - in diesem Punkt hat man sich auf „Arbeitsteilung“ geeinigt. Aber diejenigen, die den angiffslustigeren Part im Wahlkampf übernommen haben, vergessen häufig, für ihren Kandidaten Werbung zu machen. So sprach zum Beispiel Willy Brandt während der ZDF–Runde „Was steht zur Wahl?“ kein einziges Mal den Namen „Johannes Rau“ aus. Auch Hans–Jochen Vogel erwähnte den Kandidaten auf seinen Wahlkampftourneen recht selten und meinte dazu: „Die Grünen nennen doch auch nicht immer bestimmte Namen.“ Ein Schlag ins Gesicht war für Rau und Clement auch das Interview des niedersächsischen SPD–Vorsitzenden Gerhard Schröder im Sonntagsblatt: „Ich bin fest davon überzeugt, daß alle zusammen (...) darüber nachdenken, wann und für welchen Fall Oskar Lafontaine in Frage kommt.“ Während der Kandidat also seinen „Hunger nach Wählerstimmen“ zu sättigen versucht, denkt die Partei bereits über die Post–Rau–Ära nach. Schmidt hält zu Rau Einzig der ehemalige Bundeskanzler Helmut Schmidt hat sich bisher laut dafür ausgesprochen, Rau zum Parteivorsitzenden zu wählen: „Macht Rau zu eurem Vormann und laßt ihn nicht bloß euren Kandidaten sein“, schlug er auf dem Nürnberger Parteitag vor. Rau ließ erkennen, daß er für dieses Amt gerne zur Verfügung stünde. Er weiß jedoch, daß das Bundestagswahlergebnis nicht allzu schlecht ausfallen darf, damit er als Kandidat für den Parteivorsitz noch in Frage kommt. Viele Genossen sähen lieber die „Integrationsfigur“ Hans–Jochen Vogel an ihrer Spitze. Und Willy Brandt protegiert in letzter Zeit Oskar Lafontaine. Er wirft Johannes Rau vor, keine Argumente für die Wähler zwischen der SPD und den Grünen zu haben. So spricht Rau bei seinen Wahlkampfreden nie vom Ausstieg aus der Kernenergie binnen zehn Jahren, weil er diese Frist für zu kurz hält. Auch auf Details zur Sicherheitspolitik läßt er sich nicht ein, - einzelne Formulierungen in den Nürnberger Beschlüssen gehen ihm einfach zu weit. Der neu gekürte Vorstandssprecher Günter Verheugen meint dazu: „Wenn wir bei den Grünen Stimmen fischen, wird der linke Block dadurch nicht größer. Deshalb ist es für Johannes Rau wichtiger, die Wähler am rechten Rand der SPD zu überzeugen. Die am linken Rand brauchen wir allerdings, um eine eigene Mehrheit zu schaffen.“ Doch daran scheint ja inzwischen niemand mehr ernsthaft zu glauben.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen