: Heftige Kritik an Mühlheim–Kärlich
■ Erörterungstermin im nachträglichen Genehmigungsverfahren für die Kühltürme des AKW / Gutachten nur in Fragmenten allgemein zugänglich / Bilanz der Veranstaltung: „Pflichtübung und Alibiprojekt“
Aus Mülheim–Kärlich Felix Kurz
Mit heftiger Kritik wegen der lückenhaften Vorlage von Unterlagen über den Kühlturm des AKW Mülheim–Kärlich und seine Auswirkungen für die Umgebung durch das Umweltministerium in Rheinland–Pfalz begann gestern der Erörterungstermin für den Kühlturm des AKW Mülheim– Kärlich. So monierten zahlreiche Kritiker, man habe ihnen während der Auslegungsfristen nur einzelne Gutachten zugänglich gemacht, nicht jedoch alle wichtigen Unterlagen. Es fehlten nach ihren Worten jegliche Angaben über die Stoffe, die aus dem Kühlturm emittiert werden. Deshalb forderten einige der Kritiker sogar die Neuansetzung des Erörterungstermins, allerdings ohne Erfolg. Dem Rechtsvertreter der Stadt Neuwied, Rechtsanwalt Prof. Raimund Wimmer, ist inzwischen bekanntgeworden, daß es beim Hygieneinstitut der Universität Mainz einen Auftrag für ein Gutachten gibt, das sich mit den gesundheitlichen Auswirkungen der chemischen und mikrobiellen Immissionen des Kühlturms befassen soll. Dieses Gutachten will er ebenso einsehen wie andere, früher erstellte Expertisen. Wimmer selbst präsentierte ein Gutachten des Hygieneinstituts der Universität Bonn (Datum: 8.12.86), wonach in Kühltürmen die Erreger der berüchtigten Legionärskrankheit nachgewiesen wurden. Das Gutachten kommt zu dem Ergebnis, daß „erhebliche Gesundheitsrisiken“ in der Umgebung von Kühltürmen „nicht auszuschließen sind“. Zwar werde das Kühlturmkondensat in der Regel in die Atmosphäre ge tragen, aber unter besonderen Umständen könne das Kondensat auch in der Luft der näheren Umgebung bleiben. 391 Bürger haben 241 unterschiedliche Einwendungen gegen den Kühlturm vorgetragen, berichtete der Verhandlungsführer Wilhelm Streit vom Umweltministerium. Üblicherweise befaßt sich ein Erörterungsverfahren mit einem Bauvorhaben. Doch der Kühlturm von Mülheim–Kärlich steht schon lange, und das AKW war bereits im Probebetrieb. Der Betrieb wurde erst gestoppt, nachdem das Oberverwaltungsgericht in Koblenz entschied, daß der Atommeiler „ohne rechtliche Grundlage“ betrieben werde. Begründung: Das immissionsschutzrechtliche Verfahren über den Kühlturm wurde trotz eines entsprechenden Urteils des Bundesverwaltungsgerichts aus dem Jahre 85 im atomrechtlichen Verfahren behördlich abgesegnet. Doch weil eben bereits alles „faktisch vorgegeben“ sei, so ein Einwender, vermute er, daß es sich bei dem nachgeholten Verfahren jetzt um eine „Pflichtübung“ und „Alibiveranstaltung“ handele. Der Justitiar des Umweltministeriums, Manfred Rebentisch, antwortete auf diesen Vorhalt, daß „die Tatsache, daß der Kühlturm bereits vorhanden ist, keine Rolle“ spiele. Deshalb sei eine Legalisierung im nachhinein auch möglich. Da das AKW mit Rheinwasser gekühlt werden soll, stellt sich für die Einwender nach den vielen bekanntgewordenen Umweltverbrechen am Rhein die Frage, inwieweit der Fluß überhaupt noch zur KÜhlung taugt und was bei der Erhitzung noch alles chemisch freigesetzt wird.
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