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Zeitbombe für die Politik

„Die knallharten Bedingungen erinnern mich an eine Art Beugehaft, die den mutmaßlichen Täter lediglich zu einem Geständnis bringen sollen. Mit Verlaub, Ihnen bleibt der Vergleich mit südamerikanischen Operetten–Regimen nicht erspart.“ Als Wolfgang Antes im April des Jahres bei der Eröffnung der Hauptversammlung im Kammergericht Moabit zum ersten Mal nach fast sechs Monaten Untersuchungshaft wieder zur Öffentlichkeit sprach, präsentierte er sich noch im alten Stil. Arrogant, kühl und beeindruckend eloquent. Antes fühlte sich sicher: Die Phalanx aus zwölf teilweise hochkarätigen Anwälten, die für ihn und seine Mitangeklagten mit allen legalen Mitteln der Verteidigerkunst fochten, inszenierten einen fulminanten Nervenkrieg. Doch die Staatsanwaltschaft verfiel auf ein probates Mittel, dem Schauspiel ein frühzeitiges Ende zu setzen: Teile und herrsche; die Verfahren der sieben Mitangeklagten wurden eins nach dem anderen verfahrenstechnisch abgetrennt und die Beschuldigten mit Blick auf Antes abgeurteilt. Bereits am 30. September wurde Christoph Schmidt–Salzmann wegen Bestechung zu 18 Monaten auf Bewährung verurteilt; er hatte gestanden, Antes 180.000 DM in bar für seine Protektion zugesteckt zu haben. Ein paar Tage später kassierte der Architekt Heinz–Werner Raffael 20 Monate auf Bewährung, weil er Antes 1983 für einen Erbaurechtsvertrag 170.000 DM gezahlt hat. Jegliche Hoffnung, den Gerichtssaal unbeschadet zu verlassen, muß Wolfgang Antes nach dem schnellen Prozeß gegen den Wuppertaler Otto Putsch vergangen sein. Der Unternehmer, bekannt als der Gebrauchtwagenhändler mit den guten Beziehungen zum ehemaligen Innensenator Heinrich Lummer, wurde Anfang November an einem Verhandlungstag abgefertigt. Der Versuch, auf Antes Forderungen nach 5 Millionen Mark Schmiergeld beim Verkauf von 2008 landeseigenen Wohnungen an den amerikanischen Allen–Mischkonzern einzugehen, wurde ihm mit zwei Jahren Haft ohne Bewährung quittiert. Damit war Antes quasi vorverurteilt; im Raum stand neben Staatsanwalt Fätkinhäuer der Tenor des Richters: „Herr Putsch, Sie hatten das Pech, an einen Stadtrat zu gelangen, der damals schon korrupt war.“ So kam das Geständnis des „tributheischenden Wegelagerers“ von vergangenem Dienstag so überraschend nicht: Nach drei wegen ihm Verurteilten, nach fast 13 Monaten Untersuchungshaft, einer demoralisierenden Krankheit, einer Not–Operation und keinerlei Aussicht auf Unterstützung von seiten seiner Parteifreunde, für die er jetzt den Sündenbock spielt, scheint die Flucht nach vorne und die Hoffnung auf ein mildes Urteil für einen geständigen Angeklagten geradezu logisch. Ziel erreicht Die Staatsanwaltschaft hat mit dem Urteil von fünf Jahren mehr als ihr erklärtes Ziel, „die Zentralfigur der Bauskandale“ abzuurteilen, erreicht; der offensichtliche Deal, der sicher nicht der präzisen Wahrheitsfindung im Prozeß diente, öffnet der außergerichtlichen politischen Aufarbeitung Tür und Tor. Antes ist rechtskräftig verurteilt und kann jetzt unbeschadet für seine Person über die ausstehenden Ungereimtheiten plaudern: Er hat 150.000 DM von Raffael und Schmidt–Salzmann gestanden, die beiden wurden dagegen für 350.000 DM Schmiergeld verurteilt. Und weiter: Warum hat die Staatsanwaltschaft im Putsch–Prozeß auf Nachfragen verzichtet, wo es doch um die Rolle von Heinrich Lummer ging, als der seinen Bekannten Otto Putsch in die Berliner Bauwelt eingeschleust hat? Warum ging es im Antes Prozeß nach dem Geständnis plötzlich so schnell, wo blieb das Nachbohren? Der Schein des zusammengebrochenen Antes, der sich völlig aufgegeben hat, trügt: Mit dem justiziellen Schlußstrich unter den Mammutprozeß, der zuletzt fast unbeachtet von der Öffentlichkeit um die medizinische Interpretation der Blasenerkrankung von Wolfgang Antes kreiste, hat dieser seine letzte Chance genützt und mit den 150.000 DM vom Bauunternehmer Kurt Franke bisher nur Vermutetes offen eingestanden. Er hat die Spendenliste des Unternehmers bestätigt und damit einen deutlichen Fingerzeig in die politische Richtung gegeben. „Seine berechtigten Interessen wurden auf Senatsebene geklärt“, gab Antes zu Franke im Gericht zu Protokoll und hat damit wieder das Augenmerk auf die Politiker in der Spenden–Kladde des Bauunternehmers gelenkt. Einträchtig als Empfänger von Bargeldkuverts verzeichnet stehen: Der Regierende Bürgermeister Eberhard Diepgen 75.000 DM, der CDU– Bundestagsabgeordnete Peter Kittelmann 145.000 DM, der Ex– Finanzsenator und SPD–Schatzmeister Klaus Riebschläger 130.000 DM und weitere mehr. Durch Antes Kehrtwendung steht der skandalträchtige Umgang mit den Spitzenpolitikern - gegen keinen wurde ein Ermittlungsverfahren eingeleitet, Diepgen wurde nicht einmal vernommen - wieder zur Disposition. Politische Konsequenzen Für drei Geldempfänger hat das Geständnis von Antes in Sachen Franke wohl bereits in absehbarer Zeit harte Konsequenzen. Gegen den ehemaligen FDP–Umweltsenator Horst Vetter (50.000 DM) und den ehemaligen SPD–Bezirksbürgermeister von Tiergarten, Gottfried Wurche (50.000 DM) werden wohl Meineidsprozesse eröffnet werden müssen, denn sie hatten unter Eid den Empfang der Spenden bestritten. Einen Strick hat Antes höchstwahrscheinlich auch Jörg Herrmann, dem ehemaligen Baustadtrat in Wilmersdorf, gedreht: Herrmann muß sich in einem gerade laufenden Prozeß gegen den Vorwurf wehren, von Franke mit 50.000 DM bestochen worden zu sein, und seine Anwälte haben ausgerechnet Wolfgang Antes als Entlastungszeugen benannt. Mit seinem überraschenden Geständnis - und der Läuterung zum Kronzeugen - hat Wolfgang Antes wieder Bewegung in den Berliner Sumpf gebracht und demonstrativ seine Loyalität aufgekündigt. In Berlin wartet man gespannt auf die kommenden Wochen und Aussagen, nicht zuletzt auf die des letzten Mitangeklagten, des Bordellbesitzers Otto Schwanz, dem immer noch Fluchthilfe und die Bekanntschaft zum Regierenden Bürgermeister nachgeredet werden. Jochen Vorfelder

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