: Enteignung für den Mercedes–Stern
■ Bundesverfassungsgericht verhandelt Klage gegen Landenteignungen für neue Daimler–Benz–Teststrecke
Über 600 Hektar Äcker, Wiesen und Wälder will der Stuttgarter Rüstungskonzern Daimler–Benz im Norden Baden–Württembergs planieren und zubetonieren, um eine neue Teststrecke anzulegen. In über 15 Fällen wird nun das Bundesverfassungsgericht über die Zulässigkeit einer Enteignung zugunsten einer Privatfirma entscheiden. In den Dörfern um Boxberg stehen sich mittlerweile Gegner und Befürworter der Teststrecke unversöhnlich gegenüber. Gedroht wird mit „Mord und Totschlag“.
So richtige Aufstände hat es im nordwürttembergischen Taubergrund schon seit über 400 Jahren nicht mehr gegeben. Wer den Bauernkrieg, die Verwüstung des Landes und die Zerstörung der Dörfer überlebte hielt fortan die Schnauze und gehorchte der Obrigkeit. Als Deutschland braun wurde, wurden Boxberg und die Dörfer drumherum dunkelbraun, seither versammelte man sich hinter der CDU und solange das Ritterkreuz noch etwas galt auch hinter der FDP. Seit sich ein paar Dutzend Bauern wieder wehren, diesmal nicht gegen den Land– sondern den Geldadel des Stuttgarter Rüstungs– und Automobilkonzerns Daimler Benz - gar noch unter der alten Bundschuhfahne, ist der Bär los im Taubergrund. Während der neunjährige Streit im Stuttgarter Landtag parlamentarisch gepflegt und vor den Gerichten juristisch unterkühlt ausgetragen wurde, wollen Teststreckenbefürworter vor Ort, dann, wenn das Bundesverfassungsgericht eine Enteignung der Bundschuhbau ern ablehnt, das Leben und die Unversehrtheit ihrer Nachbarn nicht mehr garantieren: „Wenn die Teststrecke fällt, möcht ich nicht bei den Aussiedlern (Bundschuhbauern im geplanten Teststreckenareal) wohnen. Geredet wird mit Bundschuhbauern und den Gegnern der Teststrecke schon längst nicht mehr. Kneipen und Geschäfte in den Boxberger Gemeinden werden entweder von Befürwortern oder Gegnern der Testrecke besucht. Längst gibt es einen Pfarrer und einen Gottesdienst für und einen gegen die Teststrecke. Gegner und Befürworter auf einen Blick Die Zerrissenheit der ehemaligen Dorfgemeinschaften sind schon am äußeren Erscheinungsbild der Gemeinden erkennbar. Windischbuch, Schwabhausen, Bobstadt oder Schillingstadt, die Teilgemeinden um Boxberg sind architektonisch in Gegner und Befürworter der Teststrecke unterteilt. Wer sein Land an Daimler verkauft oder einen Arbeitsplatz im Zusammenhang mit der geplanten Teststrecke ergattert hat, (900 hat Daimler Benz versprochen) hat ein neues Haus gebaut oder sein altes herausgeputzt und mit Eternit verkleidet. Statt dem Acker wird der Vorgarten gepflegt. Von den anderen Häusern fällt der Putz in Platten vom Fachwerk, viele stehen ohnehin leer. Die meisten Dorfkneipen, wenn sie überhaupt noch geöffnet sind, erinnern an sozialistischen Realismus und stinken nach Desinfektion. An der trüben Dezemberstimmung ändern auch die vorweihnachtlich mit Glühbirnen geschmückten Tannenbäumchen nichts. Noch trostloser ist die Stimmung der Menschen. Außer dem steinernen, gefallenen Soldaten auf dem blumengeschmückten Heldendenkmal ist niemand auf dem Dorfplatz. Man redet nicht mehr miteinander und grüßt sich kaum noch. Wer jetzt schon eine Daimlerlimousine fährt, hat auch den Aufkleber der Teststreckenbefürworter hinten angebracht. An der Einfahrt nach Schillingstadt haben Befürworter der Teststrecke ihre Meinung auf ein Schild geschrieben - das rot gesprühte RAF soll wohl ausdrücken, für wen sie die Bundschuhbauern halten. Bestgehaßte Person im Landkreis „Ich habe keine Angst vor den Maulhelden“. Seit Dora Flinner als Bundestagskandidatin auf den 7. Platz der Grünen Landesliste für den kommenden Bundestag gewählt wurde, ist sie zur meistgehaßten Person der Teststreckenbefürworter geworden. Dora Flinner ist schon von Anfang an im Bundschuh organisiert und erhielt bei den letzten Kommunalwahlen über den 20 Ortsvorsteherin in ihrer Gemeinde Bobstadt wurde ihr aber trotz Stimmenmehrheit von den Mitbewerbern verweigert. Den jetzigen Ortsvorsteher, ein mürrischer 60er grüßt Dora, die runde Bäuerin mit den roten Backen, nicht mehr - er hat sie mit Ausdrücken beschimpft die sie nicht wiederholen möchte. Die politische Biographie der kämpferischen Bäuerin Dora Flinner paßt wenig ins Bild linksökologischer Emanzipiertheit. Aus einem pietistischen Elternhaus, hofft sie im nächsten Jahr in Bonn Anschluß an einen Kirchenchor zu finden. Mit der Grünen Beschlußlage zum § 218 kommt sie noch nicht ganz zurecht aber bei den „Christen bei den Grünen“ fühlt sie sich geborgen. Früher hat sie, wie fast alle hier CDU gewählt, und als die NPD Anfang der 70er Jahre versprach, sich um das Landvolk zu kümmern, auch mal die Rechten. Daß die Bäuerin Dora Flinner Homosexualität nur aus der Bibel kennt, macht Schwule und Lesben ihr gegenüber mißtrauisch. Daß manche grünen Mandatsträger befürchten, das Bonner Parlamentsparkett könnte denn doch zu glatt für die aufrechte Bobstädter Bäuerin sein, mag aus der Sicht alternativer Berufspolitiker stimmen, nur, mit der Realitätsnahe von Bonner Agrarsoziologen lassen sich die Erfahrungen einer Dora Flinner allemal messen. Von ländlicher Strukturpolitik jedenfalls versteht sie, seit den Auseinandersetzungen mit Daimler Benz und der baden–württembergischen Landesregierung, weit mehr als vielen Berufspolitikern lieb ist. Wann wird bei Flinner wieder „gefackelt“ Die Ansiedlung der Daimler– Teststrecke, so Dora Flinner, werde die Einkünfte der bäuerlichen Kleinbetriebe noch kärglicher machen und damit die Arbeitslosigkeit in der Region zwangsläufig noch weiter erhöhen. Daß den hiesigen Teststreckenbefürwortern und denen, die schon in Daimler–Zulieferbetrieben arbeiten und trotzdem eine Nebenerwerbslandwirtschaft betreiben, jetzt mit der Flurbereinigung weiter billiges Pachtland zugeschlagen wird, verbittert die Boxstädter Bäuerin nicht weniger als beiläufige Spekulationen darüber, wann bei „Flinners wieder gefackelt wird“. Daß der Hof nicht schon vor sechs Jahren niederbrannte ist reiner Zufall - der Rauch eines brennenden Lumpenhaufens unter dem Öltank ihres Wohnhauses hatte sie rechtzeitig aus dem Schlaf gerissen. Weil das alles nicht half die Bundschuh–Genossen vom Segen der Teststrecke zu überzeugen und von ihren Äckern zu vertreiben, formierte sich in der vergangenen Woche die Mehrheit gegen die Minderheit. Der Landrat des Main–Tauber–Kreises, Georg Denzer und die Bürgermeister von Boxberg und Ahorn bließen zur Hatz, 350 Teststreckenbefürworter fanden sich ein, die 200 Fackeln für den Fackelzug waren behördlich gestiftet. Das Recht der Mehrheit, so ließen einige Redner durchblicken, könne doch nicht durch Gesetze behindert werden. „Nun ist es wieder soweit“, schreibt ein Zeuge der Veranstaltung in einem Leserbrief, „Fackelzüge, haßerfüllte Hetzparolen, was noch fehlt sind die Uniformen“. Trotz Antiterrorgesetzen, so der Leserbriefschreiber, würden den Bundschuh–Leuten öffentlich „Tod und Verderben“ angedroht für den Fall, daß die Bundesverfassungsrichter die Teststrecke nicht absegneten. Dietrich Willier
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