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Auch in Brüssel Studentendemonstrationen

■ In der belgischen Hauptstadt gingen die Studenten wegen Verschlechterung der Studienbedingungen auf die Straße Die Studiengebühren sollen drastisch erhöht werden / Regierung spielt auf Zeit / Kein Dialog der Regierung mit den Studenten

Aus Brüssel Christophe Sokal

Wenn Paris sich erkältet, kriegt Brüssel die Grippe. Am Dienstag demonstrierten 12.000 Studenten in den Straßen der belgischen Hauptstadt, um gegen die von der Regierung beschlossenen Sparmaßnahmen im Universitätsbudget zu protestieren. Die finanzielle Beteiligung des Staates an Forschungsprojekten soll um 40 Prozent gesenkt werden, im Gegenzug werden die Studiengebühren von 200–300 DM auf etwa 850 DM erhöht. Auch das Sozialbudget der Universitäten ist um 50 Prozent verringert worden. Dennoch richten sich die Sprechchöre auf der Demonstration weniger gegen die Regierung Martens, sondern appellieren vor allem an die Einheit der Studenten im Kampf gegen die Maßnahmen. Die Sparmaßnahmen im Ausbildungssektor waren bereits im vergangenen Juni beschlossen worden, jedoch waren diese Beschlüsse just in die Prüfungszeit der Studenten gefallen. Die Ereignisse in Paris hatten dann die Lunte an die schwelende Unzufriedenheit der Studenten gelegt und bereits vor zwei Wochen zu einem Streik an den Universitäten geführt. Auf den Streik waren Demonstrationen in verschiedenen Städten gefolgt. Bei einer Demonstration in Leuven hatten Straßenschlachten mit der Polizei zwei Schwerverletzte gefordert. „Die Bewegung ist unpolitisch und pazifistisch geblieben, aber nach den Ereignissen in Frankreich hat sie sich ausgeweitet“, erklärt Benoit Cisse, ein Mitglied der Studentenkoordination. „Für uns ist die Demonstration ein Erfolg, denn alle Universitäten und Hochschulen haben sich daran beteiligt. Und der Streik, der vor der Demo stattgefunden hat, ist zu 80 Prozent befolgt worden. Trotzdem machen wir uns keine Illusionen. Einige Universitäten sind den Plänen der Regierung zuvorgekommen, indem sie die Dienstleistungen für die Studenten wie die Bibliotheken und die Mensen schon privatisiert und die Einschreibgebühren auf 18.000 belgische Francs (ca. 850 DM) erhöht haben. Wir fordern trotzdem die Rücknahme aller beschlossenen Maßnahmen.“ Die Bewegung wird viel Mühe haben, ihr Ziel zu erreichen. Die Regierung rechnet mit der demobilisierenden Wirkung der Weihnachtsferien, und in mehreren Fakultäten beginnen im Januar die Prüfungen. Diese Frist gibt Premierminister Wilfried Martens die Gelegenheit, seine angeschlagene Regierungskoalition wieder zusammenzuschweißen. Anfang Oktober hatte Martens seinen Rücktritt eingereicht, weil in seinem Kabinett ernsthafte Auseinandersetzungen ausgebrochen waren. Anlaß der Konflikte war der französischsprachige Bürgermeister einer mehrheitlich flämisch sprechenden Gemeinde gewesen. Ein Gericht hatte die Absetzung des Bürgermeisters beschlossen, da er nicht über genügend Flämischkenntnisse verfügte. Über der Diskussion um die Absetzung des Bürgermeisters hatte sich das Kabinett entzweit. Mittlerweile jedoch scheint der Konflikt vor läufig vorbei zu sein, und Martens kann seine Position wieder stärken. Neben dem Vertrauen in den nagenden Zahn der Zeit gibt es jedoch auch gezielte Versuche,der Bewegung die Einigkeit zu nehmen: So erklärte sich der französischsprachige Erziehungsminister Andre Damseaux dazu bereit, sich mit den Universitätsrektoren zusammenzusetzen, die die Proteste der Studenten unterstützen. Der Dialog mit den Studenten wird hingegen abgelehnt. So erklärte der Erziehungsminister am Dienstag abend: „Die Protestbewegung ist unbedeutend, denn sie vertritt nur zehn Prozent der Studenten.“ Die Forderung der Studenten, als Gesprächspartner ernstgenommen zu werden, hat angesichts solcher Töne wohl wenig Aussicht auf Erfolg. Aus Protest gegen die Äußerung gingen am Mittwoch über tausend Demonstranten im südbelgischen Mons auf die Straße.

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