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„Elektra“–Teach–In: „Umsonst und drinne“

■ Nach Kritik an den Aufführungen von „Elektra“ und „Gerettet“ in der Freien Volksbühne Berlin ging der Regisseur offensiv an die Öffentlichkeit / Kaum interessiert am Theater, erschien die Linke massenhaft zur inhaltsschwangeren Diskussion

Aus Berlin Helmut Höge

Um den heftigen Verrissen seiner „Elektra“– und „Gerettet“–Aufführungen etwas entgegenzusetzen, hatte Hans Neuenfels die Berliner Freie Volksbühne am vergangenen Donnerstag zu einem Teach–In umfunktioniert: Der Regisseur schlägt zurück - zusammen mit Prof. Ernest Bornemann, Dramatiker Heiner Müller und Maler Gotfried Helnwein (der zur gleichen Zeit seine Bilder in der Volksbühne ausstellte). „Ein Tip für alle, denen es bei den blutig– brutalen Aufführungen von Elektra und Gerettet die Sprache nicht verschlagen hat“, so die Bild–Berlin. In Zeiten, in denen der politische Diskurs keinen Hund mehr hinter dem Ofen hervorlockt, schlägt die Stunde der Komödianten. Die Volksbühne war gerammelt voll. Das Thema lautete: „Gewalt, Antike und Sexualität“. Bornemann hielt ein Referat über den (antiken) Konflikt zwischen Matriarchat und Patriarchat. Die Diskussion begann - wie üblich - mit einem Beitrag über Rauchen und Nicht–Rauchen, vom seine „brechtsche“ Zigarre paffenden Heiner Müller inszeniert. „Ich finde es wunderschön, daß hier der Dichter, ein Wissenschaftler, und ein Künstler sitzen“, meinte Neuenfels mit tiefer Kokser–Stimme. Und Helnwein gestand, daß ihn das Thema Gewalt und Sexualität schon seit 15 Jahren interessieren würde. Isses die Möglichkeit?! Die Mehrzahl der 500–600 Zuhörer hatte die Aufführungen noch gar nicht gesehen und war nur wegen des Diskussions–Ereignisses gekommen. Wie kann man auf Verrisse reagieren? Dazu gab Müller eine Brecht–Anekdote zum besten: Die schlechten Rezensionen im Börsenkurier hatte Brecht sich sei nerzeit so erklärt: Ein Mann steht vor einem dunklen Haus und sieht im 6. Stock Schatten im Fenster. „So vergewaltigt man doch keine Frau“, sagt er sich. Tatsächlich wurde dort oben aber Billard gespielt. So funktioniert der Theaterkritiker. aber auch nur der. die k. Schreiben hat mit Papier und Hand zu tun, während das Theater einen ganzen Apparat bewegt und mit Materialwiderständen zu kämpfen hat. Im übrigen habe Neuenfels kein Stück von Euripides, sondern eins von Seneca inszeniert, so Heiner Müller. „Wir leben im Spätrom.“ Dazu der Regisseur: „Die Götter, das ist unsere Gesellschaft. Es ist ein atheistisches Stück, also kann ich es inszenieren, wie ich will. Kein Mensch kommt auf die Idee zu sagen: Mensch Elektra, du hast jetzt sieben Jahre auf diesem Landhof getrauert, hör doch mal auf, komm da doch mal runter. Man muß sich fragen: Was ist Griechenland in uns? Was ist Schuld und Sühne?“ Bornemann wandte ein, daß „Elektra“ natürlich nicht das Stück eines Agnostikers sei. Neuenfels: „Jetzt ist Weihnachten, jeder fragt sich: Was mache ich mit meinem Vater, mit meiner Mutter, fahre ich hin oder nicht? Das ist es, was mich interessiert. Man muß über konkrete Dinge reden.“ An der Inszenierung war u.a. bemängelt worden, daß Orest als „neurotisch–schwuler Junge“ präsentiert wurde. „1. waren in Griechenland alle schwul und 2. ist es doch nicht besonders schwul, wenn ein Junge einen Mann küßt“, meinte Neuenfels. Ein Päderast aus der Indianerkommune ergriff daraufhin das Mikrophon und plädierte langatmig für die sexuelle Wahlfreiheit von Kindern und Jugendlichen: „Ich bin dagegen, daß - wie in der letzten Zeit zunehmend - Gewaltfragen nur noch in der Kunst, auf der Bühne und auf dem Bild angegangen werden, sie sind real, und dort muß man sich mit ihnen auseinandersetzen!“ Ein Zuschauer ergänzte: „Ich habe gar keine Zeit, meine Konflikte auf einer Bühne auszuspielen. Ich arbeite halbtags!“ Neuenfels hielt dagegen, daß die Welt nur (noch) mit der Kunst gerettet werden könne: „Wir sind alle Nazis. Auch Helnwein ist einer, aber er malt ihn sich ab. Und Herr Müller ist eine Sau, aber er schreibt sie sich ab.“ Müller hatte zuvor gegen den Feminismus polemisiert, der immer alle Diskussionen dominiere: „Sie können sagen - Ostneurose -, aber ich interessiere mich primär für die ökonomischen Zusammenhänge.“ Helnwein hatte einige Geschichten zu seinen Hitlerbildern erzählt, die eine Menge Altnazis und SS–Soldaten fasziniert hatten. Schließlich hatte sein neonazistischer Cousin eins bei ihm gegen einen Ford Mustang eingetauscht. Heute hängt das Bild bei einem Sammler in den USA. „Ich male, was ich finde, und was mich erstaunt - Klischees. Ich habe auch Peter Alexander gemalt. Seit diesem Bild hat sich meine Familie wieder mit mir versöhnt.“ Dazu wieder Neuenfels: „Es gibt keine wirklichen Lösungen, nur eine Beschäftigung mit den Problemen. Leben heißt sich schuldig machen! - Euripides. Auch die ökonomische Gleichheit schafft keine sexuelle Wahlfreiheit. Immer wird jemand sagen: Ich liebe dich nicht! und damit jemanden unglücklich machen.“ Der Marxist und Grünen–Wähler Bornemann wollte dagegen die politischen Forderungen der Päderasten nach einigen Gesetzesänderungen unterstützen, ebenso die feministischen und die ökologischen. Neuenfels verließ darob das Podium und ging. Ab da wurde es dann noch eine wirklich schöne Grünen–Versammlung. Die taz– Beobachter verließen kurz darauf enttäuscht die Volksbühne. Ein Zuhörer äußerte den schwerwiegenden Gedanken: „Die Technologie bedroht uns, weil sie patriarchalischer Natur (Struktur?) ist!“ Was kann man dagegen machen? Diskutieren und sich bei den Grünen engagieren, meinte Bornemann. Gegenüber dem Päderasten wandte Heiner Müller ein: „Die Künstler haben doch gar nicht resigniert, sie machen doch was, du nimmst es nur einfach nicht zur Kenntnis, das ist das Problem“. Bornemann: „Aber warum sollte er, wenn es doch eine schlechte Aufführung war?“ Siehe auch Kultur–Seite 15

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