: Zu Reaktionen auf unseren Offenen Brief an die RAF
■ Die Brüder von Gerold von Braunmühl antworten Autonomen und „kritischen Freunden“ der RAF auf ihre Leserbriefe / Einige Reaktionen auf den Offenen Brief an die RAF waren gespenstisch / Sie fragen, ob die neuen Anti–Terror Gesetze ein Erfolg für die Mörder ihres Bruders sind / Sie beklagen Sprachlosigkeit
Diejenigen, an die unser offener Brief gerichtet war, haben bis heute nicht geantwortet. Trotzdem ist der Versuch, sie zu erreichen, deshalb nicht schon gescheitert. Die Adressaten dieses Briefes sind weder Dämonen noch Bestien, sondern einfach Mörder, also Menschen. Sie können erschrecken, zweifeln, und sie können aufhören. Ob sie das allerdings tun, hängt auch davon ab, was andere tun, und wie andere auf sie reagieren. Die Bilanz der Mörder Einige dieser Reaktionen waren gespenstisch. Wer in Veranstaltungen des RAF–Anwalts und „Stammheim“–Autors Pieter Bakker Schut den Applaus für den Mord an unserem Bruder gehört hat, weiß, was damit gemeint ist. - Leider ist dieser Beifall nicht der einzige Erfolg der Mörder geblieben. Es ist zu befürchten, daß bestimmte Reaktionen ihrer Gegner mehr zur Stärkung der RAF beitragen könnten als der Applaus ihrer Freunde. In den neuen „Anti–Terror“–Gesetzen wird der Begriff Terrorismus neu definiert. Die „terroristische Vereinigung“ wird durch strafrechtliche Definition stark erweitert. Sie umfaßt jetzt auch Leute, die sich mit ihrer Gewalt gegen bestimmte Sachen - z. B. Strommasten - von der RAF und ihren Morden bewußt klar abgrenzen, - bisher jedenfalls. - Und so geht es weiter. Mit dem nächsten Schritt werden bereits Gegner der neuen Gesetze zu „Komplizen der Terroristen“ erklärt, und auch der anderen Seite kommt es nicht mehr so genau darauf an ( „Gewaltfrei oder militant, wichtig ist der Widerstand“). Werden die Mörder mit ihrem Erfolg zufrieden sein? - Der Staat verhält sich, wie seine Feinde es von ihm erwarten. Wer schon immer „wußte“, daß ohne Gewalt nichts zu machen ist, fühlt sich bestätigt und erhält breite Zustimmung. Auf beiden Seiten. „Spaltende“ Unterscheidungen sind nicht gefragt. Dafür entschlossenes Handeln, Solidarisierung und Schulterschluß. Überhaupt noch miteinander zu reden, wird verpönt oder verweigert. Beispiel 1, - Kommentar der WELT auf unseren Offenen Brief: „...ein unheimliches Dokument geschwächter sozialer Instinkte...“ Denn: „Wir haben es längst nicht mehr mit Dämonen zu tun, sondern mit dummen Dämonen. Wer sich mit denen außerhalb der Gerichte einläßt, setzt das Ansehen der Opfer aufs Spiel, schadet der Demokratie und dem Rechtsstaat. Er bringt sich nicht nur moralisch, sondern auch intellektuell ins Zwielicht“ (WELT, 10.11.). - Beispiel 2, - Autonome Gruppe Osnabrück in einem Leserbrief an die taz: „Da stirbt ein Vertreter des kapitalistischen Systems gewaltsam, und wir, die Linke, sollen uns nach der eigenen Moral fragen. Wir diskutieren nicht mit den Vertretern eines Systems, das... usw.“ (taz, 4.12.). Glücklicherweise waren nicht alle Reaktionen von dieser Art. Nicht nur in Leserbriefen an die taz–haben viele unseren Versuch, die Mörder anzusprechen und zur Rede zu stellen, sehr unterstützt. Diesen Versuch weiterzuführen, heißt, der RAF keine Ruhe vor öffentlicher Auseinandersetzung zu gönnen, und gleichzeitig die notwendige Untersuchung der Ursachen des Terrors und des eigenen Anteils an diesen Ursachen nicht allzu eilig für abgeschlossen zu halten. - Was insbesondere für die Linke eine fortgesetzte Verdrängung der „Leiche im eigenen Keller“ bedeutet, ist in mehreren Leserbriefen deutlich gesagt worden. Antwort an ihre „kritischen Freunde“: Allerdings gibt es auch eine beträchtliche Zahl von Leserbriefen, die ein ganz anderes Verhältnis der RAF gegenüber zum Ausdruck bringen. Wir melden uns hier noch einmal zu Wort, weil wir denen antworten wollen, die die RAF zwar in einigen Punkten kritisieren, sich aber trotzdem mit ihr mehr oder weniger solidarisch erklären. Fast alle Beiträge dieser „kritischen Sympathisanten“ stimmen in zwei Punkten miteinander überein. Fast alle finden: Zwar so richtig toll - mit den Genickschüssen - sei das nicht, - aber verständlich schon, vielleicht sogar notwendig, und jedenfalls besser als taz, Grüne, Gewaltfreie oder Schlimmeres. - Und fast alle erklären: Zwar, Diskussion über die RAF im Prinzip ja, - aber nicht so. Nicht mit „scheinheiligen Brüdern“, - nicht auf der Ebene einer „rein moralischen“ Argumenta tion, - und nicht unter den unfairen, weil „einseitigen“ Diskussionsbedingungen der taz. Was die Behandlung der RAF– Debatte in der taz betrifft, - darauf zu antworten, ist nicht unsere Sache. Vielleicht wäre es gut, wenn die taz–Redaktion dazu selbst noch etwas sagen würde. Wie w i r über die Bekanntmachung dessen denken, was die RAF zur Ermordung unseres Bruders vorgebracht hat, haben wir in unserem Offenen Brief gesagt. Es ist sicher richtig, die Ernsthaftigkeit von Diskussionsbereitschaft zu prüfen. Die von Gegnern, aber auch die eigene. Wie steht es mit der „eigenen“ im Falle der RAF ? - In einem der Leserbriefe wird die taz aufgefordert: „Bemüht euch um Beiträge, Interviews, Analysen von Leuten, die zur RAF noch was zu sagen haben“ (Sebastian, 26.11.). Vielleicht ist das gar nicht so einfach. Vielleicht gehört Unansprechbarkeit zum Mythos RAF sogar dazu. Für manche ist diese Stummheit der RAF geradezu Beweis „für ihre moralische Integrität“ (Walter, 26.11.). - Allerdings bleibt die RAF nicht immer stumm. Es gibt Reaktionen der RAF auf Kritik an ihren Morden. Z.B. im Fall des US–Soldaten Pimental. Die Antwort der RAF auf linke Kritik an dessen Ermordung lautete: Der Staatsschutz habe „einem haufen von arschlöchern aus der linken“ Munition geliefert, um die „einheit der revolutionären front zu spalten“. - Auseinandersetzung mit der RAF setzt auch bei ihr eine entsprechende Bereitschaft voraus. Der grauenhafte Monolog ihrer Erschießungserklärungen ist dafür kein Beweis. Noch ein Wort zur „rein moralischen“ bzw. „historischen“ Argumentation. Die Mörder unseres Bruders haben Gründe genannt, und wir haben widersprochen bzw. nachgefragt. Übrigens nicht nur nach ihrer Legitimation, sondern auch nach ihrer politischen Analyse und Zielsetzung. Auf einer Rechtfertigung, die Rückfragen zuläßt, zu bestehen, scheint uns so wenig „rein moralisch“ zu sein, wie es - im Gegensatz dazu - „historisch“ oder „revolutionär“ wäre, die RAF als „die bewaffnete Form der marxistisch– leninistischen Theorien“ begreifen zu müssen (Peter Pan, 17.11). Immerhin gibt es unter den vielen Begründungen für Nichtbefassung auch zwei Leserbriefe kritischer RAF–Sympathisanten, die sich auf die inhaltliche Diskussion einlassen und sagen, worin ihre RAF–Kritik besteht. Der eine von ihnen findet es falsch, „Gewalt zum Selbstzweck zu erheben, wie Teile der radikalen Linken und die RAF es tun“, und er kritisiert diejenigen, die „ihr plattes Schwein–oder– Mensch–dazwischen–gibt–es– nichts herunterleiern.“ Wer das tut, bleibt zwar ein Revolutionär, aber er „gefährdet oftmals revolutionäre Politik“ und „kann Schwächungen und Spaltungen hervorrufen“ (Der Autonome vom Dienst, 9.12.). - Der andere stellt klar, daß er die „Liquidation von Schweinen nicht für richtig“ hält, weil ihm erstens nicht klar ist, „was diese Strategie bringen soll“, und weil er es zweitens für zynisch hält, „Kriterien festzulegen, wann jemand so ein Schwein ist, daß er den Tod verdient“. Das Problem: „Wer entscheidet wonach, wer die Schweine sind ?“ (Christobal, 9.12.) . Im übrigen sehen beide, genauso wie alle anderen kritischen RAF–Freunde , überhaupt keinen Grund, sich über die „Erledigung“ eines „Bonzen“ wie unseres Bruders groß aufzuregen. Zwar: „Mord bleibt Mord, und Menschenleben können nicht gegeneinander aufgerechnet werden.“ Aber: „Ein System, das von Mord, Ausbeutung und Unterdrückung lebt, darf sich nicht wundern, wenn zurückgeschlagen wird“ (Autonome Gruppe Osnabrück, 4.12.). Ein Vertreter dieses Staates, was ist das gegen die vielen Opfer dieses Systems ?! Was herrscht, und was fehlt Wir möchten alle, die das geschrieben haben oder so denken fragen: Könnt ihr Euch einen Menschen vorstellen, der Völkermord und Fischsterben, - auch alles andere Unrecht und alle anderen Gefahren, die z.B. von kdv Bremen in ihrer Persiflage unseres Briefes aufgezählt werden (17.11.) -,nicht weniger klar sieht, sich mit Ursachen und Änderungsmöglichkeiten nicht weniger leidenschaftlich, intelligent und ehrlich auseinandersetzt als Ihr das tut, - und der trotzdem zu einer anderen Überzeugung kommt als Ihr ? Z.B. zu der Überzeugung, daß es innerhalb dieses Staates Möglichkeiten gibt, die genutzt werden können und müssen, um Unrecht und Gefahren, von denen die Rede ist, zumindest ein wenig zu verringern ? - Könnt Ihr euch das vorstellen ? Wir haben auch unter uns die Erfahrung gemacht, daß so etwas wirklich schwer sein kann: In einer wichtigen Sache von etwas sehr überzeugt zu sein und gleichzeitig wahrzunehmen, daß ein anderer in derselben Sache mit nicht geringerer Intelligenz und Ehrlichkeit als der eigenen zu einer anderen Überzeugung kommt. Wahrscheinlich haben damit nur solche Leute überhaupt keine Schwierigkeiten, die sich für irgendeine Art von „Vorhut“ halten oder egal aus welchem anderen Grund unfähig sind, sich vorzustellen, daß sie sich auch täuschen können. Diese Unfähigkeit ist, unabhängig davon, auf welchem hohen Roß sie daherkommt, sehr gefährlich. Sie läßt den Andersdenkenden leicht als Idioten oder als Schurken erscheinen. Oder als Schwein. Und von der Verschweinung oder anderen Arten der Vertierung von Menschen bis zu ihrer Vernichtung ist es - besonders nach Erfahrungen hierzulande - nicht weit. Auch im Kampf gegen Völkermord und Umweltvernichtung gibt es einen Punkt, an dem Widerstand in blanke Barbarei umschlägt. Es ist möglich, gegen die neuen Sicherheitsgesetze und nicht bei RAF oder Autonomen zu sein. Wir haben für diese Möglichkeit nach Worten gesucht und dabei gespürt, wie tief der Graben und wie feindselig die Sprachlosigkeit ist, die zwischen beiden Fronten herrscht. Dabei darf es nicht bleiben. Es ist möglich, den Terror und dessen Ursachen gemeinsam zu bekämpfen. Was fehlt, ist politische Kultur, die dazu fähig macht. Wir wollen sagen, - und wissen uns darin mit unserem ermordeten Bruder einig, - es ist sehr wichtig, diese Kultur zu entwickeln. Die Brüder Gerold von Braunmühls
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