: Testfall RadiAktiv
Nürnberg (taz) - Seitdem sich die Nürnberger Staatsanwälte nach Tschernobyl dem in derselben Stadt erscheinenden Anti– AKW–Magazin RadiAktiv mit viel Aufmerksamkeit und Geduld widmen, haben sie stolze Erfolge vorzuweisen. Mittlerweile sind alle im Jahr 1986 erschienenen Ausgaben der Zeitschrift mit Ermittlungsverfahren überzogen. Der Prozeß gegen die RadiAktiv–Verantwortlichen findet nun am 21.Januar um 13.30 Uhr im Nürnberger Amtsgericht statt. Der Testlauf für den inzwischen im Bündel der sogenannten „Anti–Terrorgesetze“ verabschiedeten neuen Paragraphen 130 a (Anleitung zu strafbaren Handlungen) begann im Juni dieses Jahres bei der Ausgabe 7 des in 5.000er Auflage erscheinenden Magazins. Erstmals wird nicht mehr ein bestimmter Artikel moniert, sondern die Kombination mehrerer in ihrem Gesamteindruck als Aufforderung zu Straftaten gewertet. Diese Linie setzt sich in der Beschlagnahmebegründung der Nummer 10 fort. Für den zuständigen Richter Gräfe geht es nicht mehr um den konkreten Inhalt der Zeitung, sondern um das, was im Kopf des Lesers vorgehen könnte. „In nicht ungeschickter, aber leicht durchschaubarer Weise“ billige demnach RadiAktiv gewaltsames Vorgehen nicht nur, sondern sehe „dieses als Gebot für alle gleichgesinnten Leser“ an. Gräfe spürt in einem Artikel „un verhohlene Sympathie“ für abgesägte Strommasten auf, eine kommentarlose Auflistung bisher er folgter Anschläge auf Firmen gerät zur „Erfolgsübersicht“. Hier mußte anscheinend die Nürnberger Staatsanwaltschaft die nachträgliche Legitimation für die gesetzwidrige Beschlagnahme von 500 Exemplaren der Nummer 10 von RadiAktiv durch die Amberger Kriminalpolizei eine Woche zuvor, kurz vor den Anti– WAA–Blockadetagen in der Oberpfalz, liefern. Einen Monat später schließlich wird nachträglich auch gegen die Nummer 8 ein Ermittlungsverfahren eingeleitet. Ein Artikel über Polizeiübergriffe soll eine Beleidigung von Polizeibeamten darstellen. Auch Bayerns Ministerpräsident darf sich nach Staatsanwaltlicher Einschätzung von dem Satz beleidigt fühlen, daß er es in der Oberpfalz notfalls auf einen Bürgerkrieg anlege. Zeigten sich die Nürnberger Ermittlungsbehörden schon in ihren Begründungen sehr flexibel, so steht dem - was die Prozeßterminierung betrifft - das Amstgericht in nichts nach. Kurz nach Bekanntwerden der Pläne einer neuen Bundeskonferenz der Anti–AKW–Initiativen am 17. und 18.Januar in Nürnberg, verlegte es den Prozeßtermin ohne Angabe von Gründen vom 19. auf den 21.Januar. Die Durchsuchung des Büros von RadiAktiv im städtischen Kulturladen Süd hatte jetzt ein Nachspiel im Nürnberger Stadtrat. Auf Antrag der Nürnberger CSU–Stadtratsfraktion müssen die Kulturläden nun der Verwaltung alle Gruppen melden, die dort Räume nutzen. SPD und Grüne setzen dem nichts entgegen. Offizielle Begründung: Sie wollen dem Ausgang des Gerichtsverfahren nicht vorgreifen und „keine Vorverurteilung des Magazins leisten“. Bernd Siegler (Vor dem Prozeß wird es eine neue Ausgabe geben. Bestellungen an RadiAktiv, Rothenburgerstr.106, 8500 Nürnberg 70; Spenden an Anita Aschenbrenner (Sonderkonto), PSchA Nbg., Kto–Nr. 113237–850; für das BUKO–Fest am 17.1.87 werden noch Musikgruppen gesucht, bitte melden unter 0911/400019)
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