B U C H T I P Einer blickt zurück

„Ein Tupamaro blickt zurück“ heißt es im Untertitel des Lebensberichts des David Campora, aufgeschrieben von Ernesto Gonzales Bermejo. Aber es geht nicht um die Jahre der spektakulären Tupamaro–Aktionen und des schmutzigen Krieges der Militärs, sondern um die Zeit danach, um die zwölf Jahre Friedhofsruhe. Das Buch ist die detaillierte und präzise Aussage eines Zeugen, der die Folter und menschenvernichtende Gefängnismaschinerie der uruguayischen Militärdiktatur am eigenen Leibe erfahren hat. Und es soll für die Opposition, die in innere Emigration, Gefangenschaft und Exil gespalten war, Baustein einer neu zu findenden gemeinsamen Sprache der Uruguayer sein. „Die verschiedenartigen Erfahrungen während der Jahre des Schweigens zusammentragen, verstehen, was mit uns geschehen ist, um die Niederlage zu überwinden“ - mit diesem Satz beschreibt Campora nicht nur die Zielsetzung seiner Erinnerungsarbeit, sondern auch die Suche der Tupamaros nach ihrem Standort im neuerstandenen demokratischen Uruguay. Campora, aus wohlhabenden Elternhaus stammend und von Beruf Wirtschaftsprüfer, stieß, wie viele Angehörige bürgerlicher Schichten, Mitte der sechziger Jahre unter dem Eindruck des wirtschaftlichen und politischen Zusammenbruchs der ehemaligen Schweiz Südamerikas zu den Tupamaros. Er nahm an einigen Aktionen teil, tauchte angesichts der Repression bald in den Untergrund ab. 1972, kurz vor Beginn der Militärdiktatur wurde er nach der Erstürmung seines Verstecks durch Militär verhaftet. Sein weiterer Weg wurde zu einer neun Jahre dauernden Odyssee durch die Kasernen, Folterkammern und Knäste der Diktatur. Der Terror wirkte langsam, chirurgisch und systematisch, sein Ziel war die gründliche Zerstörung der Persönlichkeit seiner Opfer. Die Gefangenen versuchten, ihm ihre Geschlossenheit und gegenseitige Hilfe entgegenzubringen. Langsam und beharrend, bisweilen quälend ist auch die Erzählweise Bermejos. Die Last des Geschilderten dringt in den Leser ein, läßt ihn selbst zum Gefangenen werden. Doch die Identifikation mit dem Erzähler wird durch den Wechsel der Perspektive, und durch dessen nüchterne Distanz zu sich selbst immer wieder gebrochen. Keine Heldengeschichte wird erzählt, auch von Schwächen und Selbstzweifeln, von den Vielen, die der Folter nicht standhielten und den Wenigen, die zu Verrätern wurden, wird berichtet. Für David Campora, heute Mitglied der politischen Führung der Tupamaros, hatte die gemeinsame Arbeit mit Bermejo auch die therapeutische Funktion, ein neunjähriges Abgeschlossensein von der Außenwelt zu verarbeiten, ohne zu verdrängen oder zu vergessen. Für den Leser in der Bundesrepublik, wo die Tupamaros einst ideologischer Bezugspunkt für die RAF war, mag das Buch zeigen, daß die Entscheidung für den bewaffneten Kampf nicht menschenverachtenden Zynismus bedeuten muß. Hans–Günther Pohl Ernesto Gonzales Bermejo, Hände im Feuer, Focus–Verlag, Gießen 1986, 265 Seiten, DM 24.80