: Hochschlagende Wellen - seichte Programme
■ Seit Silvester im norddeutschen Raum auf Sendung: „radio ffn“ / 57 Zeitungs– und Zeitschriftenverlage finanzieren den größten privaten Rundfunksender in der Bundesrepublik / Konkurrenzdruck auf den Norddeutschen Rundfunk zu einer Programmreform / Gebuhlt wird vor allem um die jungen, musikbegeisterten Hörer
Aus Hannover Axel Kintzinger
„Vergessen Sie alles, was Sie bisher gehört haben“, empfiehlt ein balancierendes Pärchen, und eine blonde Disco–Schönheit fordert: „Mach mich an!“ Zweifarbig und in halbseitigen Zeitungsanzeigen wird seit Ende Dezember für „Das Radio für uns“ geworben. „Uns“, das sind alle Nordwestdeutschen zwischen 15 und 45 Jahren - die potentielle Zielgruppe von „radio ffn“, dem größten privaten Rundfunksender in der Bundesrepublik. Er sendet seit Silvester Mittag. Hinter ffn verbirgt sich die „Funk und Fernsehen Nordwestdeutschland GmbH & Co KG“, hinter der wiederum 57 Zeitungs– und Zeitschriftenverlage aus dieser Region stecken. Nachdem bereits im Sommer 86 Radio Schleswig Holstein und seit dem Neujahrsmorgen auch Radio Hamburg mit privaten Rundfunkprogrammen begannen, heizen nun schon drei Kommerzsender dem Norddeutschen Rundfunk ein: Mit mehr oder weniger flotten Sprüchen, überwiegend belanglosen und sehr kurzen Wortbeiträgen sowie zumindest bei ffn mit verdammt guter Musik. Konkurrenz der „Klangwelten“ Damit treffen sie bei den norddeutschen Radiohörern auf ein dankbares Publikum, das sich bislang vorwiegend mit dem niveaulosen Drögfunk, gemacht von in die Jahre gekommenen NDR–Moderatoren, konfrontiert sah. Und so drehen auch „links“ und „alternativ“ gesonnene Hörer - prinzipiell gegen die als Kommerzfunk verschrieenen Privatsender eingestellt - ihren Radio–Knopf immer öfter auf die UKW–Frequenz 102, um, begleitet von fetziger Musik, das Frühstück einzunehmen oder abzuwaschen. Die Programmgestalter des Norddeutschen Rundfunks haben dieses Hörer–Verhalten geahnt und krempelten die Programmstruktur ihrer Service–Welle NDR II zum Jahreswechsel um. Denn bereits im Sommer des vergangenen Jahres hatten die Öffentlich– Rechtlichen schon mit Erschrecken zur Kenntnis nehmen müssen, daß ihnen die Hörer schon kurz nach dem Start von Radio Schleswig Holstein (RSH) in Scharen davonliefen, der NDR von dem Mini–Sender aus Kiel in der Hörergunst gar auf Platz zwei verwiesen wurde. Allerdings stellten sich die RSH–Macher, in der Rundfunkproduktion gänzlich unerfahren, allzu dilettantisch an und konnten mit dem bloßen Abspielen der aktuellen Hitparadenlisten ihr Publikum nicht allzulange begeistern - der Hörerstrom floß wieder zurück. Beim NDR soll er nun, so wurde es zumindest angekündigt, auf ein neues „Klangbild“ und in den Abendstunden gar auf neue Sendungen treffen. Im neuen Jahr wird „das Gute noch besser werden“, so der Text von Werbean zeigen, mit denen auf die Kampagne von ffn reagiert wurde. Torsten Römmling, langjähriger Redakteur des Norddeutschen Rundfunks und heute Programmdirektor von ffn, ist skeptisch. „Ich kann tausend neue Kleider kreieren“, urteilt er salopp über die NDR–Pläne, „solange derselbe Kern darunter steckt, verändere ich nicht viel.“ Gemeint sind die ergrauten öffentlich–rechtlichen Moderatoren, die ihre Pfründe hartnäckig nach Beamtenmanier verteidigen. Mehr Inhalt - weniger Verpackung Doch zurück zu „radio ffn“: „Weniger Worte, mehr Inhalt - mehr Inhalt, weniger Verpackung, stellte Programmdirektor Römmling den niedersächsischen Radio–Konsumenten in Aussicht. Was das denn ausgerechnet bei einem Privatsender bedeutet, wollte die taz von ihm wissen. „Wir bemühen uns darum, in der Modera tion alles Floskelhafte, alles Hausbackene, was es so in der ARD in Ballung gibt, zu vermeiden.“ Um das durchzusetzen, greift man innerredaktionell zu so ungewöhnlichen wie grotesken Methoden: „Wir haben eine Kasse, in die muß der Moderator für jedes „Meine Damen und Herren“ fünf Mark bezahlen“ und: „Wir spielen lieber einen Titel mehr Musik, als daß einer den Leuten erzählt, wie wunderschön er heute ausgeschlafen hat.“ Aber ffn erzählt den Leuten auch, daß in der hannoverschen Südstadt gerade ein Schneemann gebaut wird. Was also hat einen Informationswert bei diesem neuen Sender? Bei einem stichprobenartigen Vergleich zwischen den Nachrichten von ffn und NDR ergaben sich inhaltliche und politische Unterschiede. Aufmacherthema bei ffn ist in den ersten Tagen regelmäßig das Hochwasser in Niedersachsen, am Neujahrstag stündlich gefolgt von den kleinen und großen Unfällen, die in der Silvesternacht passiert sind. Wer nicht auf einen öffentlich– rechtlichen Sender umschaltet, erfährt den Sturzflug des Dollars erst Stunden später und den Rücktritt von Israels Innenminister Simon Peres gar nicht. Und bei der Berichterstattung über Kohls umstrittene KZ–Äußerung wird nicht etwa der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde, Galinski, als Quelle herangezogen, sondern der bislang kaum in Erscheinung getretene „Verband der ehemaligen politischen Gefangenen in der DDR“, der Kohls Geschichtsverständnis natürlich voll und ganz unterstützt. „Wir versuchen“, rechtfertigt sich Torsten Römmling, „eine Balance zu finden zwischen dem Informationsbedürfnis der Menschen, was die große weite Welt anbelangt, und der Informationsnotwendigkeit, was die nähere Umgebung betrifft.“ Seine Begründung für die Nachrichtenauswahl: „Das Hochwasser und die Schneeschmelze in Niedersachsen interessiert hier viel mehr als eine Regierungskrise in Israel.“ Angesprochen auf die durchaus unterschiedliche Qualität und Gewichtung der Nachricht wittert Torsten Römmling nicht ohne Grund Kritik und geht automatisch in die Defensive: Jung, dynamisch und seriös „Wir machen grundsätzlich seriöse Nachrichten“, beteuert er, „und wenn es irgendwo zwanzig Tote bei einem Eisenbahnunglück gegeben hat, folgt im Anschluß mit Sicherheit keine Meldung über den neuen Europameister im Würsteschnappen.“ Für die Qualität der Nachrichtenauswahl und -mischung würden überdies mehr als zwanzig qualifizierte Redakteure sorgen. Und die kommen unter anderem von der Bild–Zeitung oder aber von NDR Radio Niedersachsen, von dem nahezu die gesamte Redaktion der mißglückten Jugendsendung „Popfit“ übernommen wurde... Römmling teilt sich zusammen mit über 50 weiteren ffn–Angestellten eine Arbeitsstätte, die als das wohl ungewöhnlichste Funkhaus der Bundesrepublik bezeichnet werden kann. Das schönste ist es allemal: Ein mondänes Landhaus mit stattlicher Auffahrt, umgeben von einer parkähnlichen Anlage, gelegen in Isernhagen, einem Dorf am Rande von Hannover. Was dem Besucher neben der eleganten Einrichtung sofort auffällt, ist die „Jugendlichkeit“ dieses Senders: Das Durchschnittsalter der Mitarbeiter liegt unter 30 Jahren. Programmdirektor Römmling ist mit 38 schon der zweitälteste. Ein wenig älter ist nur Gerd Leienbach, als „Programm–Designer“ von ffn–Vorbild SWF 3 (Servicewelle des Südwestfunks), der von Baden–Baden an die Leine importiert wurde. Werbung muß sein In dieses junge Team setzen die 57 Zeitungsverleger offenbar viel Vertrauen: Auf runde 17 Millionen Mark beläuft sich allein der Etat für 1987, 6,8 Millionen hatten die Gesellschafter bis zum Start bereits eingezahlt, eine Nachschußpflicht besteht bis zu einer Nachsumme von 30 Millionen DM. Obwohl nach Aussage des ffn–Geschäftsführers Günter Drossart schon vor Sendebeginn bereits „erfreulich viel Werbung gebucht“ wurde, hoffen die Privat–Funker auf eine Amortisierung der investierten Kosten erst für den Beginn des nächsten Jahrzehnts. Die einzige Einnahmequelle ist Werbung, und von der braucht ffn zur Kostendeckung etwa eine Stunde am Tag. Bei einem durchschnittlichen Preis von 600 DM pro halbe Minute kämen da 72.000 DM täglich zusammen - vorausgesetzt, der Preis wird nicht erhöht. Falls das anvisierte Ziel von stündlich 300.000 Hörern überschritten werden sollte, wird man sich darüber bei ffn und seinem größten Anteileigner, dem hannoverschen Großverlag mit Monopolstellung, Madsack (Hannoversche Allgemeine Zeitung, Neue Presse und vieles mehr) Gedanken machen. Hinzu kommt, daß sich ffn wie auch die anderen privaten Sender das von der ARD selbst auferlegte Werbeverbot an Sonn– und Feiertagen nicht zu eigen macht. Das Werbeverbot knacken will demnächst auch Radio Bremen, kleinster Sender der ARD und zu nicht unerheblichen Teilen ebenfalls von den Werbeeinnahmen abhängig. Vom Redakteur zum Discjockey Der Küstensender reagierte auf die private Konkurrenz Ende 1986 vorbeugend, in dem er einen neuen Kanal anbot, der rund um die Uhr Rockmusik ausstrahlt und ab Sommer dieses Jahres bis nach Hannover reichen soll. Ein solches „zielgruppenorientiertes Musikkonzept“ hat sich auch der Rundfunkriese NDR auferlegt. Wie bei den privaten Sendern hat man auch hier die jüngere Generation ins Visier genommen. Und wie bei den Privaten ist das Ziel nunmehr „eine schlüssige und an den Wünschen der Ziel gruppe orientierte Musik–Konzeption, die für die Musikredakteure und Moderatoren verbindlich ist und damit die Nachteile vermeidet, die sich aus einer überwiegend subjektiven Musikzusammenstellung einzelner Redakteure und Moderatoren ergeben könnten. „Diese NDR–Anweisung bedeutet, daß die Plattenauswahl von computergestützten Playlists bestimmt wird. Ausgebildete Rundfunkredakteure werden dadurch zu Discjockey Rundfunkurteil des Bundesverfassungsgerichtes vorgeschriebene Grundversorung wird auf die unpopulären Sender NDR I und III abgeschoben. Lustlos gemacht, erreicht NDR I selbst in Spitzenzeiten ein Publikum, dessen Zahl nur ein rundes Drittel der taz–Leser ausmacht (60.000 Hörer).
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