Die DDR als KZ: Kohl als politischer Symbolist

■ Symbolisch funktioniert sie, die Politik, meint Jürgen Link / Kohls Diskurs–Pannen folgen daher bewußt oder unbewußt einer „symbolischen Logik“ / Kohl selbst agiere als normaler Medienkonsument, dem der Unterschied zwischen Symbol und Realität flöten gegangen sei

Glaubt man der bisherigen öffentlichen Diskussion (einschließlich taz) über Kohls Diskurs–Pannen, so handelt es sich angeblich um „falsche Vergleiche“. Dabei gerät der entscheidende Punkt erst gar nicht in den Blick: Diese sogenannten „Vergleiche“, besser Analogien, folgen einer symbolischen Logik! Wie ist Kohl darauf gekommen (ob bewußt oder unbewußt, spielt überhaupt keine Rolle), in der DDR „Konzentrationslager“ wahrzunehmnen? Nach Klaus Hartungs Kommentar in der taz vom 6. 1., weil er die Nazis entschuldigen will. Das mag ja sein, aber es fehlt bloß des Wesentliche: das Symbolsystem unserer Medien. Wer hat noch kein Foto von der DDR–Grenze mit Stacheldraht und Wachtürmen gesehen? Wer hat noch keine Karikatur gesehen, auf der die ganze Deutsche Demokratische Republik mit Hilfe von Stacheldrahtzaun usw. symbolisch als Konzentrationslager dargestellt ist? Die öffentliche Diskussion vergißt einfach, daß die Berliner Mauer seit nunmehr bald 26 Jahren in unseren Medien symbolisch als „KZ– Mauer“ funktioniert! Statt also über Kohls mögliche Verwicklung in gefährliche Rechtskartelle zu spekulieren, sollten zunächst einmal evidente Fakten in den Blick gerückt werden. Dann wird deutlich, daß Kohl einfach der normale Medienkonsument ist, dessen Welt dank Medien bloß noch symbolisch ist. Wenn die Medien von „Asylantenflut“ reden, dann meldet sich Kohl wie jeder normale Medienkonsument zum Deichbau. Wenn die Medien von „Terrorkrebs“ reden, dann sehnt sich Kohl wie jeder normale Medienkonsument nach chirugischen Schlägen. Kohl hat also deshalb von Konzentrationslagern in der DDR geredet, weil er das KZ–Symbol nicht von einer Realität mit dem Namen KZ zu trennen pflegt. Daß hier des Pudels Kern liegt, wird durch Geißlers „Erläuterung“ endgültig klar. Danach warf Geißler der SPD vor, „den Begriff KZ nur auf westliche Militärdiktaturen, nicht aber auf kommunistische Unterdrückungsmethoden anzuwenden“. Es geht also gar nicht um empirische Fakten, sondern um die „Anwendung“ eines „Begriffs“ auf ein ganzes System - also um Symbolik! Ausgerechnet dieser zentrale Punkt wird aber in der Polemik gar nicht erwähnt. Ich vermute, daß er deshalb nicht in den Blick kommt, weil die beteiligten Polemiker selbst völlig ins Symbolsystem der Medien verstrickt sind. Das ist bei einem Mann wie Rau sehr klar: Wer seinen Wahlkampf auf „soziale Wärme gegen soziale Kälte“, also auf ein pures Symol aufgebaut hat, wie soll der symbolkritisch sein können? Aber auch Klaus Hartung kommt zu dem Schluß: „Hier wird die Mitte nach rechts getrieben“! Ich schlage vor, daß wir diese Symbolik als Happening ausagieren! Mein Fazit also: Kohls Pannen sind zu begrüßen!Sie lenken den Blick endlich auf zwei äußerst wichtige Merkmale unserer politischen Struktur: Erstens darauf, daß unsere gesamte Politik symbolisch funktioniert (von „Aufschwung“ über „Wende“ bis zu „sozialem Netz“ und „rot– grünem Chaos“). Die Gesamtheit dieser Symbole bildet ein zusammenhängendes System, dessen Gesetzmäßigkeiten die politischen „Stimmungswechsel“ usw. weitgehend bestimmen. Zweitens lenken sie den Blick darauf, daß seit der Herrschaft optischer Medien der Unterschied zwischen Symbol und Realität flöten geht. (Das ist die Quintessenz der Thesen von Jean Baudrillard über die heutige „Simulations“–Welt. Das Prinzip der Bildzeitung siegt: Es geht nur mehr darum, für ein Symbol das „dokumentarische Foto“ zu finden. Die Gnade des späten Schaltens, die diesem Kanzler zuteil geworden ist, könnte also wahrhaft auch eine Gnade für alternative Medien werden. Wir müssen endlich das Symbolsystem der hegemonialen Medien und der hegemonialen Politik (natürlich einschließlich der SPD) als einen der wichtigsten politischen Faktoren erkennen und entsprechend intervenieren. Jürgen Link Eine Vielzahl entsprechender Medienanalysen und Analysen von Politikerreden finden sich regelmäßig in der „zeitschrift für angewandte diskurstheorie“ kultuRRevolution. (Anfragen Germinal Verlag, Friederikastr. 38, 463 Bochum 1)