: Bombays Slumbewohner sollen verschwinden
■ 100.000 Elendshütten im Stadtzentrum der indischen Neun–Millionen–Stadt sollen abgerissen werden, ohne daß man den Vertriebenen Wohnungen anbietet / Freies Bauland ist so teuer wie in New York und Honkong
Bombay (ips) - „In ihrer Art ist diese Stadt die schlimmste der Welt.“ Shoyeb Shaik, Inhaber eines florierenden Vermittlungsbüros, das Arbeitskräfte in die Golfstaaten bringt, legt seine Stirn in Falten. Wenn er auf der Dachterrasse seines feudalen Bürohochhauses in einem Bombayer Geschäftsviertel steht, fällt sein Blick unausweichlich auf einen Stadtteil, den viele für den größten Slum Asiens halten: Dharavi. Zwischen Gerbereien, Chemiefirmen und riesigen offenen Abwasserkanälen drängen sich hier auf engstem Raum 100.000 Hütten aus Blech, Lehm und Pappe. Vielen Einwohnern Bombays gilt Dharavi als besonders schlimmes Beispiel für die willkürliche Besiedlung in der von drei Seiten vom Indischen Ozean umschlossenen Stadt. Denn Bauauflagen oder Stadtentwicklungspläne gab es in der hundertjährigen Geschichte Bombays lange Zeit nicht. Heute zählt Bombay rund neun Millionen Einwohner auf ei ner Fläche von 270 Quadratkilometern. Fast die Hälfte der Einwohner lebt Schätzungen zufolge unter ähnlich menschenunwürdigen Bedingungen wie die Bewohner der Hüttenstadt Dharavi. Viele haben noch nicht einmal eine armselige Baracke als Unterkunft, sondern hausen auf Bürgersteigen. Lange Zeit vernachlässigt, aber auch unbehelligt von den Behörden. Doch seit Hochhäuser, Luxusgeschäfte und Fast–Food– Ketten sich im Zentrum Bombays ausbreiten, sollen die Obdachlosen aus der Stadt verschwinden. 1981 begannen die Behörden mit Umsiedlungskampagnen. Rund hunderttausend Menschen sollten in Siedlungen außerhalb der Stadt Unterkunft finden. Vier Jahre lang leisteten die Hütten– und Straßenrandbewohner erfolgreich Widerstand. Ihr gewichtigster Einwand gegen die Umsiedlungen war, daß die Abschiebung ihre Existenz grundlegend gefährde. Denn die ohnehin geringen Einkunftsmöglichkeiten der Armen liegen hauptsächlich im Stadtzentrum. Die Proteste, die von Menschenrechtsgruppen und der Gesellschaft zur Schaffung von Wohnraum (SPARC) unterstützt wurden, nutzten nichts. Mitte 1985 verabschiedete der Oberste Gerichtshof in Bombay ein Gesetz, das die prekäre Lage der Obdachlosen sogar noch verschärfte. Die Stadtbehörden sind seither zu Räumungsaktionen ermächtigt, ohne den Vertriebenen eine alternative Wohnmöglichkeit anbieten zu müssen. Bauland ist jedoch nach Auffassung von SPARC selbst im Zentrum Bombays vorhanden. Die Stadt verfügt über ein unbebautes Gebiet von 3.000 Hektar, Bestandteil eines kürzlich beschlossenen Rahmenplans zur Stadtentwicklung. Doch der Vorschlag, dieses Gebiet den Obdachlosen zur Verfügung zu stellen, stößt bei bessergestellten Bürgern auf heftigen Widerstand. Sie verlangen, daß das Areal als Erholungsgebiet genützt wird. „Jedem Bürger von Bombay“, so die Werbedirektorin eines Luxushotels, „kämen Grünflächen in der Stadt zugute, weil sie lebenswichtigen Sauerstoff liefern.“ Doch auch um diesen Vorschlag scheint es schlecht bestellt in der wichtigsten Handelsstadt Indiens, deren Grundstückspreise denen von New York und Hongkong entsprechen. Rund 500 Hektar des umstrittenen Gebiets gingen bereits unter der Hand an private Bauunternehmen. Daß deren Projekte jedoch den Armen zugute kommen werden, glaubt niemand. Sie werden die finanziellen Möglichkeiten der Armen weit übersteigen und darin den jährlich 20.000 Wohnungen folgen, die seit 1982 mit Hilfe der Weltbank in Höhe von 275 Millionen Dollar errichtet werden. Die Slumbewohner haben denn kaum noch Hoffnung, daß sich etwas an ihrer bedrückenden Lage ändern wird. „Die Menschen, die in den großen Gebäuden leben“, sagen die Armen, „wollen unsere Arbeit, doch sie wollen uns nicht zu Nachbarn.“
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