: I N T E R V I E W Der Paragraph 218 - zentrales Thema der Konservativen
■ Welche rechtlichen Regelungen träten nach der Streichung des Paragraphen 218 in Kraft? Vera Slupik, juristische Gutachterin des „Manifests“, bezieht Position
taz: Konservative Politiker behaupten, Frauen würden bis zum achten oder neunten Monat abtreiben, wenn der § 218 gestrichen wäre. Feministinnen und Grüne begegnen dieser Unterstellung immer nur mit moralischen Argumenten: Nein, Frauen seien verantwortungsbewußt und täten so was nicht. Wie kann man solchen Behauptungen politisch und juristisch offensiv entgegentreten? Vera Slupik: Solche Äußerungen der Konservativen sind vor dem Hintergrund zu verstehen, daß man die jetzige Indikationsregelung praktisch rückgängig machen müßte. Weil ein Großteil der Abtreibungen aufgrund einer sozialen Indikation auf Krankenschein erfolgt, sehen sie eine Aushöhlung dieser Indikation, eine „verkappte Fristenlösung“. Das stimmt,und das ist auch richtig so. Frauen nehmen das Selbstbestimmungsrecht über ihren Körper in Anspruch, weil niemand besser entscheiden kann, ob aus dem Embryo ein Kind werden soll oder nicht. Denn Frauen tragen noch immer die Verantwortung für die Kinder. Im übrigen bin ich auch der Auffassung, daß nur ganz wenige Frauen spät und wahllos abtreiben würden - aber wie bei jeder anderen Strafrechtsvorschrift kann man auch hier diskutieren, was bei ihrer Abschaffung geschähe. Bei meiner rechtlichen Beurteilung orientiere ich mich an der Entscheidung des amerikanischen Supreme Court (das höchste US–Gericht), die besagt, daß Abtreibung so lange legitim ist, wie das Kind außerhalb der Mutter nicht lebensfähig ist. Wollte eine Frau nach dem sechsten Monat abtreiben, müßten die Ärzte aufgrund ihrer Verantwortlichkeit eine vorgezogene Geburt einleiten oder auf andere Weise versuchen, das Leben zu erhalten. Sind die Ärzte aufgrund des hypokratischen Eids dazu verpflichtet? Ja, und durch das Strafgesetzbuch, denn das wäre unterlassene Hilfeleistung bzw. fahrlässige Tötung. Nehmen wir aber auch mal den schlimmsten Fall an: Eine Frau weiß, daß die Ärzte im Krankenhaus das Kind retten wollen, sie will aber nicht, daß es zur Welt kommt. Dann geht diese Frau mit der Stricknadel vor und gefährdet damit auch ihr eigenes Leben. In einem solchen Falle könnte man das als Kindstötung auslegen, wenn man die Auffassung vertritt, daß ein Embryo im sechsten Monat selbständig lebensfähig, also bereits Kind ist. Wenn man nach diesen strengen Maßstäben urteilt, würde sich nicht nur der Arzt, sondern auch die Mutter strafbar machen, allerdings mit unterschiedlichem Strafmaß. Ich neige dazu, dies auch so einzuschätzen. Denn der Zeitpunkt der Lebensfähigkeit außerhalb des Mutterleibs ist der einzige medizinisch eindeutige Einschnitt im Laufe einer Schwangerschaft. Der dritte Monat ist auch ein Einschnitt, aber er ist nicht so gravierend. Was hältst du z.B. von einer Fristenlösung bis zur 18. Woche, Frauen, die danach abtreiben wollen, sollten auf jeden Fall ein Beratungsgespräch, z.B. bei Pro Familia, führen? Im Rahmen der Sozialgesetzgebung wäre es selbstverständlich möglich, eine Beratung nahezulegen. Das ist vor so einer Operation auch sinnvoll. Allerdings dürfte es keinesfalls als eine Zwangsberatung ausgestaltet sein, da bin ich grundsätzlich dagegen. Wie könnte die Bewegung gegen den § 218 wieder in Schwung gebracht und repolitisiert werden? Alice Schwarzers „Manifest“ fand ja nur wenig Zustimmung. Unter einer konservativen Regierung und in einer Atmosphäre, die konservative Lebensformen begünstigt, ist es Aufgabe aller widerständigen Bewegungen und aller Oppositionsparteien, keinen Sinn mehr haben für dessen zentrale Themen. Ein solches Thema ist der § 218. Deshalb hatte Alice Schwarzer völlig recht, als sie die „Manifest“–Kampagne im Vorwahlkampf lancierte. Die Grünen sind mit der Aufforderung, Farbe zu bekennen, in die Klemme geraten. Ein Teil der Grünen ist wertkonservativ und stellt das angebliche Lebensrecht des Embryos in ihrer Wertehierarchie über das Selbstbestimmungsrecht der Frau. Die anderen Grünen erkennen nicht, daß sie hier längerfristig strategisch, nicht nur taktisch vorgehen müßten. Immerhin fordern die Grünen in ihrem Programm die Abschaffung des § 218. Was hältst du von dem Konzept, das u.a. Waltraud Schoppe vertritt, mit vielen gesellschaftlichen Organisationen sich über den § 218 auseinanderzusetzen? Ich finde das zwar sinnvoll, aber es ist gleichzeitig viel zu defensiv. Die Grünen trauen sich nicht zu sagen, daß es hier um Geschlechterkampf und Macht geht. Das wäre ja unanständig. Die grünen Feministinnen befürchten, daß bei einer Klage das Bundesverfassungsgericht noch konservativer entscheidet als beim letzten Mal. Diese Einschätzung ist völlig unrealistisch. Das Verfassungsgericht verfolgt z.Zt. die Linie der Selbstbescheidung, d.h. sie versuchen, politischen Fragen aus dem Wege zu gehen. Hier wäre die Chance für das Bundesverfassungsgericht, die Klage für unzulässig zu erklären und abzuweisen, wenn es nichts verändern will. Aber wenn es die Klage zuläßt? Schon die letzte Entscheidung lautete: Das Lebensrecht des Embryos geht vor. Das ist die im konservativen Sinne bereits härteste Entscheidung. Ich halte es für am wahrscheinlichsten, daß das Bundesverfassungsgericht derzeit eine solche Klage bereits an der Zulassung scheitern läßt. Mit Alice Schwarzer bin ich der Meinung, daß es richtig ist, im Wahlkampf die Verfassungsklage in den Mittelpunkt zu stellen. Ob man eine solche Klage dann allerdings später tatsächlich durchzieht - das ist eine andere Frage. Das Gespräch führte Gunhild Schöller
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen