: NS–Prozeß: „Tötung letzte Hilfe“
■ Im Frankfurter Euthanasie–Prozeß sagt der angeklagte Dr. Aquilin Ullrich aus / Ein „Führerbefehl war damals für mich bindend wie für uns alle“ / Anwerbung als Euthanasie–Arzt war „Auszeichnung“
Frankfurt (dpa) - Als „letzte ärztliche Hilfe“ will der Frauenarzt Dr. Aquilin Ullrich (72) aus Stuttgart im Jahr 1940 die Tötung angeblich unheilbarer Geisteskranker verstanden haben. Im Frankfurter Euthanasie– Prozeß um Beihilfe zum Mord an Tausenden von Geisteskranken in der NS–Zeit hat Ullrich am Montag mit dieser Erklärung seine bereits seit mehreren Verhandlungstagen andauernde Aussage zur Sache fortgesetzt. Ullrich gelangte dabei immer noch nicht bis zu seiner Tätigkeit in der Tötungsanstalt Brandenburg/Havel, sondern berichtete zunächst ausführlich darüber, wie er von dem Psychiatrie–Professor Werner Heyde für die Euthanasie– Aktion angeworben wurde. Heyde war nach dem Krieg unter dem falschen Namen Dr. Sawade als Gutachter der Landesversicherungsanstalt Schleswig–Holstein in Kiel tätig und hatte sich dann nach seiner Verhaftung 1964 mit seinem Selbstmord der Mordanklage entzogen. Heyde habe damals die Tötungsaktion mit der „therapeutischen Hoffnungslosigkeit“ und mit den Leiden der Patienten infolge ihrer „katastrophalen Unterbringung“ in den Heilanstalten gerechtfertigt, erklärte Ullrich. Dieses „ärztliche Eingeständnis der Aussichtslosigkeit“ habe ihn erschüttert. Er habe den Eindruck gewonnen, daß Heyde „aus Anteilnahme am Schicksal der Patienten“ zum Befürworter der Euthanasie geworden sei. Zur rechtlichen Begründung der Tötungsaktion habe Heyde auf den „Befehl des Führers“ verwiesen. Ein solcher Befehl „war damals für mich bindend wie für uns alle“, sagte Ullrich. „Mit Sicherheit hatte ich keine rechtlichen Bedenken.“ Die strenge Geheimhaltung der Aktion sei ihm „verständlich“ erschienen, sagte Ullrich. „Es mußte verhindert werden, daß damals im Krieg die gegnerische Propaganda daraus Kapital schlug.“ Er habe die Anwerbung auch als „Auszeichnung aufgefaßt, weil Heyde ihm zu verstehen gegeben habe, er sei an der Mitarbeit junger qualifizierter Ärzte interessiert, damit die Aktion nicht von „SS– Rabauken“ durchgeführt werde. Der Prozeß wird am kommenden Montag fortgesetzt.
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