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Kein Frieden am Golf

Jedes Jahr erobern die Truppen Khomeinis gut 100 Quadratkilometer irakischen Territoriums. Bei gleichbleibendem Tempo werden sie also noch etwa 4.000 Jahre brauchen, um den 438.446 Quadratkilometer (BRD 248.678) großen Irak zu besetzen. Wenn man das enorme Bevölkerungswachstum in der Islamischen Republik berücksichtigt, kämen Statistiker sicher zu dem Ergebnis, daß der dann 100jährige Khomeini, der 1979 beim Schahsturz 36 Millionen Iraner um sich scharen konnte und heute bereits 45 Millionen beherrscht, im Jahre 2000 seine Gefolgsleute aus einer Bevölkerung von 67 Millionen rekrutieren kann. Da es im Jahre 2025, auch bei Berücksichtigung der Kriegsverluste, bereits 100 Millionen Iraner geben wird, dürfte der Eroberungsprozeß Iraks also eher abgeschlossen werden, da die irakische Bevölkerung nicht im vergleichbaren Maße mitwächst, insbesondere da sich ein größerer Anteil der Männer dauerhaft in den Verteidigungsanlagen der 1.180 Kilometer langen Front aufhalten wird. Masse gegen Material Auch wirtschaftlich und finanziell ist Irak in einer wesentlich schlechteren Situation. Iran verliert in diesem Krieg Menschen, die - zynisch betrachtet - im Überfluß vorhanden sind und deren Ausbildung und Versorgung bereits zum Problem werden, Irak verschießt Raketen und Granaten, die bereits auf Pump gekauft wurden und deren Nachschub wegen der hohen Schulden des Landes langfristig nicht gesichert werden kann. Diese sehr nüchterne Betrachtung zeigt, daß Irak langfristig gar keine Chance hat, einer Niederlage zu entgehen, wenn die Taktik des defensiven Stellungskrieges beibehalten wird. Die Führung in Bagdad hat diesem Trend schon lange Rechnung getragen. Vor 18 Monaten begann die irakische Luftwaffe systematisch, die iranischen Erdölexporteinrichtungen zu bombardieren, um die Deviseneinnahmen des Kriegsgegners zu minimieren. Mit der Bombardierung von Raffinerien, Kraftwerken und Fabriken sollte die iranische Wirtschaft entschei dend geschwächt werden. Ziel dieser Angriffe war nicht ein militärischer Sieg über die Islamische Republik, sondern die Schaffung eines wirtschaftlich–finanziellen Drucks, um Teheran zu zwingen, einem der zahlreichen internationalen Friedensvorschläge zuzustimmen. Irak hatte bisher alle Waffenstillstands– oder Friedensvorschläge internationaler Gremien akzeptiert und selbst den Rückzug der Truppen beider Länder an die Grenzen, den Austausch aller Kriegsgefangenen und Abschluß eines Friedensvertrages auf der Basis der Anerkennung der territorialen Integrität und der Nichteinmischung in innere Angelegenheiten als Friedensbegingung genannt. Demgegenüber beharrt die iranische Führung nach wie vor auf dem Sturz des irakischen Baathsystems als Friedensbedingung. Die US–Waffenlieferungen Diese einfachen Zusammenhänge dürften auch den Stäben im Weißen Haus bekannt gewesen sein. Wenn dem Iran dann dennoch hochtechnologische Waffen geliefert werden, kann sicherlich niemand behaupten, es handele sich dabei um Aktionen zur Unterstützung der Kriegsgegner in der inneriranischen Politszene. Denn gerade moderne Flugabwehrwaffen und die Nachrüstung der aus den USA während der Schahzeit bezogenen modernen Flugzeuge versetzen die iranischen Streitkräfte in die Lage, die absolute Luftüberlegenheit der gegnerischen Luftwaffe zu brechen. Die Islamische Republik kann damit einen dringend benötigten Ölexport von mindestens einer Millionen Barrell am Tag aufrechterhalten und die Auswirkungen der Luftangriffe auf die Wirtschaftsziele des Landes abschwächen. Die außen– und innenpolitischen Wirkungen der US–Waffenlieferungen sind ebenfalls sehr bedeutsam. Die prowestliche Opposition in den Kreisen der iranischen Intelligenz, der Technokraten und des traditionellen Bürgertums wird weiter demoralisiert. Außenpolitisch bedeuteten die Waffenlieferungen eine Stärkung der auf Fortsetzung des Krieges bestehenden Führung. US–Argumente, mit den Waffenlieferungen sei eine Freilassung der im Libanon als Geisel genommenen US–Bürger beabsichtigt gewesen, sind Scheinargumente. Bei den Verhandlungen mit den iranischen Vertretern hat sich gezeigt, daß diese auf immer weiteren Waffenlieferungen bestanden haben und die Iraner nicht als Vermittler, sondern als Nutznießer der Entführungen aufgetreten sind. Daß Reagan zur Begrenzung des Prestigeverlustes, den seine Politik in weiten Teilen der arabischen Welt ausgelöst hat, am Freitag in sehr verschwommener Weise die Carter Doktrin, nach der die Sperrung der Straße von Hormuz ein Angriff auf vitale US– Interessen darstellt, ausgeweitet hat, entspricht seinem militärischen Denken. Aber die Formel, die Ausweitung des Golfkrieges verstoße gegen die US–Interessen, kann in der Tat bedeuten, daß US–Truppen direkt im Golfkrieg eingesetzt werden, obwohl ein Sprecher des Weißen Hauses Anfang der vergangenen Woche gerade entsprechende Pläne bestritten hatte. Destabilisierung Die Aussage von Reagans Sprecher Larry Speaks, die Vereinigten Staaten seien gegen jede Entscheidung, die den Golfkrieg ausweiten würde, verdeutlicht, daß die USA sehr wohl ein Interesse an der Fortsetzung des Krieges auf dem derzeitigen Niveau haben, um ihren militärischen Einfluß in der Region ausbauen zu können. Denn nach wie vor hat die US–Regierung keine Schritte unternommen, die als Beitrag zur Beendigung des Golfkrieges interpretiert werden könnten. Die Destabilisierung Irans und Iraks, die mit jedem Kriegstag zunimmt, reicht den USA offenbar immer noch nicht. Der Versuch, einen von West und Ost unabhängigen Entwicklungsweg einzuschlagen, den Iran und Irak auf unterschiedliche Weise angestrebt haben, soll dauerhaft und exemplarisch zerstört werden, um den US–Einfluß in beiden Ländern wieder herstellen zu können und um die OPEC auch langfristig zu schwächen. Denn zur Beseitigung der Kriegsschäden und zur Bezahlung der Kriegsschulden werden sich Iran und Irak künftig nicht an Quotenabsprachen der OPEC halten können. Walter Gebhardt

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