: „Geisterfahrer“
■ Eine witzige Collage linker Geschichte, die auf den moralisierenden Zeigefinger verzichtet
Bald zwei Jahrzehnte Langer Marsch - und viele kamen durch. Ökobanker, Parlamentarier, Verleger und sogar ein Minister haben die politischen Ideale von einst in ihren Ablagen deponiert - bei Bedarf werden Versatzstücke herausgekramt und der staunenden Öffentlichkeit präsentiert: Was wir wollten - was wir wurden. Die Medienwerkstatt Freiburg wollte sich mit diesen Absagen an die linken Utopien nicht zufriedengeben. Mit ihrem Video „Geisterfahrer“ zeigen sie die Bilder zwischen den starken Sprüchen (gestern) und den starken Sprüchen (heute). Daniel Cohn–Bendit beispielsweise, der auf einer Landesversammlung der hessischen Grünen eine flammende Rede für die Zusammenarbeit mit der SPD hält, wird optisch und akustisch konfrontiert mit Cohn–Bendit, der 1968 dem bürgerlichen Demokratietheater eine radikale Absage erteilt. Doch trotz der Lust am Gegenüberstellen und am historischen Zitieren ist das Freiburger Video kein nachtragendes Entlarvungswerk. Dafür sorgen schon die gelegentlich einmontierten, vom Freiburger Kabarettisten Matthias Deutschmann geschriebenen Dialoge und die Mischung von fiktiven und realen Bildern: Das Europaparlament wird zur Erziehungsanstalt für radikale Abgeordnete verfremdet, die von pathetischen Richard–Strauss–Klängen (“Zarathustra“) begleitete Öko–Bank– Feier ist aber, man glaubt es zuerst kaum, wieder real. Ausgangspunkt der ironisierenden Collage ist, wie sollte es bei all dem Horror anders sein, die Geisterbahn. Die Fahrt an die Stationen der linken Geschichte - Bilder von der französischen und der russischen Revolution und den 68er–Unruhen leuchten jäh auf, um sofort wieder zu verblassen - geht gegen den Trend der Zeit, in der das Vergessen und Ausblenden der Vergangenheit kein Privileg der Rechten ist. Die „Geisterfahrt“ führt andererseits aber auch so weit in die Gegenwart hinein, daß vielen unbehaglich dabei werden wird. Zumal sich die Macher den schlichten Kategorien verweigern: es gibt bei ihnen nicht die guten und die bösen Linken. Die Videomacher plädieren für Radikalität - und setzen sie in ihrer eigenen Arbeit um. Die Bilder aus den finsteren Gängen unter Parteitagshallen der Grünen, von farblosen Wahlkampfauftritten und aus gestylten Festsälen sind geprägt von einer eigenen Ästhetik: Sie zeigen Düsternis und Tristesse, ohne selber blaß zu sein. Unaufwendig hat die Medienwerkstatt produziert - ohne aber auf den Einsatz experimenteller Techniken und geschickter Effekte zu verzichten. Die Videotechnik beherrschen die Medienwerkstattleute hervorragend - aber anders als die sogenannten Kunstvideo–Macher setzen sie sie politisch ein. Ihre Arbeit klärt Wirkungsweise und besondere Qualitäten des Videos besser als jedes 14tägige Festival mit „Videoinstallationen“ - ohne sich dabei an die konventionelle öffentlich–rechtliche Fernsehspieldramaturgie mit all ihrem verkrampften Bemühen um Authentizität anzupassen. Oliver Tolmein Der Film läuft heute um 22.55 Uhr im ZDF.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen