piwik no script img

Polizei–Razzia im Fall Ali Hamadeh

■ Sprengstoffdepot entdeckt / Bruder Hamadehs auf Frankfurter Flughafen festgenommen / Solidaritätsdemonstration für entführte Lehrer in Beirut

Berlin (taz) - Zu konzertierten Polizeiaktionen in Zusammenhang mit dem Fall des mutmaßlichen schiitischen Flugzeugentführers Ali Hamadeh kam es Montag und Dienstag im Saarland. Nach Informationen der Saarbrücker Zeitung wurde dabei in der Gemeinde Beckingen im Kreis Merzig in einem Erdloch ein privates Sprengstoffdepot entdeckt. Bei dem von Spezialisten des Bundeskriminalamts sichergestellten Explosivcocktail soll es sich um 20 Liter Methylnitrat handeln. Dieser in seiner Wirkung dem Ni troglyzerin nicht nachstehende Flüssigsprengstoff war auch bei der Verhaftung Ali Hamadehs am 13. Februar auf dem Frankfurter Flughafen gefunden worden. Bereits am Montag abend war im Meckinger Ortsteil Brotdorf die Wohnung der libanesischen Familie Kassim von einem zivilen Polizeikommando gestürmt worden. Dabei wurde der 24jährige Sohn, Adnan Kadem, durch einen Schuß verletzt. „Er hatte Glück“, so die erste Auskunft des behandelnden Arztes im nahegelegenen Losheimer Krankenhaus, „die Kugel hat die Lunge nur um wenige Zentimeter verfehlt.“ Die Polizei nahm den Vater und die drei anderen Söhne fest. Das Protokoll der anschließenden Wohnungsdurchsuchung vermerkte: „Schriftmaterial, zwei Briefe, einen Kalender, zwei Kassetten.“ Bei den beschlagnahmten Videokassetten handelt es sich um Familienaufnahmen. Einen Tag später wurden auch die Ehefrau und die Töchter von der Polizei abgeholt. Die gesamte Familie war am Mittwoch wieder auf freiem Fuß. Fortsetzung auf Seite 2 Die Familie Kassim hatte dem wenige Stunden vorher bei seiner Einreise auf dem Frankfurter Flughafen festgenommenen Bruder des mutmaßlichen Flugzeugentführers, den 28jährigen Abbas Hamadeh, die Anmietung ei ner ausgebauten Garage vermittelt. Kontakt zu Hamadeh, der hier nur mit Bett, Schrank und Tisch lebte, hatte die Familie nach Aussage der Tochter nicht. Er hatte sich vor einiger Zeit von seiner deutschen Frau, mit der er eine dreijährige Tochter hat, getrennt. Die Wohngarage war offenbar von der Polizei seit längerem observiert worden. Eine Nachbarin berichtete, das BKA habe sich vor kurzem bei ihr einquartieten wollen. Ein anderer Bruder der Festgenommenen, Abdel Hamadeh wird verdächtigt, als führendes Mitglied der Schiitenorganisation „Hishbollah“ (Partei Gottes) die Geiselnahme der beiden Deutschen in Beirut befohlen zu haben. Von sogenannter „informierter Seite“ hieß es laut deutscher Presseagentur: „Abbas Hamadehs Rolle könnte unter Umständen entscheidend sein.“ Nach Aussagen eines deutschen Sicherheitsdienstbeamten soll Abbas Hamadeh im Juni 1986 während der Entführung der US– amerikanischen TWA–Maschine Athen–Rom nach Beirut von der Bundesrepublik aus „seine Finger mit im Spiel“ gehabt haben. Inzwischen wurde der am 13. Februar festgenommene Bruder Ali Hamadeh von einem amerikanischen Passagier der entführten TWA–Maschine als einer der Highjacker anhand eines Fotos identifiziert. Ali Hamadeh, soll kurz vor der Flugzeugentführung von Athen aus Postkarten an seine in Saarlouise lebende Freundin geschickt haben. Sie hatten sich 1983 während eines Aufenthalts des Libanesen in der Bundesrepublik kennengelernt. Die mit einer zweijährigen gemeinsamen Tochter in Saarlouis nur von der Sozialhilfe lebende junge Frau hat die Geschichte vom „Leben mit dem Terroristen“ samt Fotos und Postkartengrüßen „exklusiv“ an die Illustrierte „Quick“ verkauft. Der in dem Palästinenserlager „Bourj– barane geborene Ali Hamadeh, war bereits 1984, nachdem er seinen Antrag auf politisches Asyl zurückgezogen hatte, in den Libanon zurückgekehrt. Er war am 13. Januar mit den als „Wein“ deklarierten Sprengstoffflaschen und Kinderspielzeug im Gepäck das erste Mal in die Bundesrepublik zurückgekehrt. In Bonn hieß es am Mittwoch, es gebe ein Lebenszeichen von dem Entführten Hoechst–Manager Cordes und dem Siemens–Rhöntgentechniker Schmidt. Auf ihrer Pressekonferenz hielt die Bundes regierung weiter an ihrer Nachrichtensperre fest. Ein ehemaliger Mitbewohner Ali Hamadehs in Saarlouis, der 26jährige Ares Zeinddein, der heute als Übersetzer des Deutschen Roten Kreuzes in Helmstedt arbeitet, sagte am Mittwoch gegenüber dem Staatsschutz aus, Hamadeh habe sich zum Zeitpunkt der TWA–Entführung im Iran befunden. Er habe ihn dort aus mehrfach angerufen. Solidaritätsdemo für entführte Lehrer in Beirut Aus Protest gegen die Entführung von vier Angehörigen des „Beirut University College“ am vergangenen Samstag sind am Mittwoch Studenten und Schüler in den Streik getreten. Nach einer Versammlung auf dem Campus zogen die Demonstranten zum Erziehungsministerium. Sie forderten die Freilassung ihrer Professorren und die Freihaltung der Universitäten von politischen Konflikten. In Anbetracht der unsicheren Lage ist der ARD–Korrespondent Marcel Pott als letzter Bundesbürger in Westbeirut am selben Tag in den christlichen Osten übergesiedelt. Unterdessen prüft die US– Regierung die Möglichkeit, die Pässe von im Libanon lebenden US–Bürgern und von amerikanern, die in den Libanon reisen wollen, zu entwerten. Wie ein Sprecher des Verteidigungsministeriums in Washington am Dienstag mitteilte, wird der amerikanische Flugzeugträger „John F. Kennedy“ sowie elf seiner Begleitschiffe vorerst auf unbestimmte Zeit im Mittelmeer bleiben. Eigentlich hätte der Verband vom Flugzeugträger „Nimitz“ abgelöst werden sollen. Wie es in Kreisen des Pentagon weiter hieß, hat der Verband um die atomgetriebene „Nimitz“ mehrere zuvor eingeplante Hafenbesuche abgesagt, so daß jetzt zwei US–Flottenverbände ständig im Mittelmeer kreuzen. Diese Entscheidung des Pentagon dürfte mit der jüngsten Entwicklung im Libanon zusammenhängen. Alarm in Österreich In Österreich sind am Dienstag abend mehrere Flughäfen in Alarmbereitschaft gesetzt worden, nachdem telefonisch eine Flugzeugentführung angedroht worden war. Der Alarm wurde in der Nacht beendet. Der Anrufer hatte von einem Zusammenhang mit der Inhaftierung Hamadehs in der BRD gesprochen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen