: Asyl–Streit entzweit die Eidgenossen
■ Seit die Berner Bundesregierung einen Abschiebestopp für Tamilen aufhob, wächst der Widerstand christlicher Kreise gegen die „inhumane Flüchtlingspolitik“ / Ein Bericht von Thomas Scheuer
Der UNO–Hochkommissar interveniert, Protest auch von Kirchen und Wohlfahrtsverbänden, Amnesty International startet - erstmals in einem westeuropäischen Land - eine „urgent action“: Zehn Wochen vor einer Volksabstimmung über die Verschärfung der Asyl– und Ausländergesetze beherrscht die Auseinandersetzung um die Asylpolitik wieder die Schlagzeilen im Nachbarland Schweiz. Die Bundesregierung will vierzig Tamilen, abgelehnte Asylbewerber, nach Sri Lanka zurückschicken. E
Die britische Premierministerin Thatcher hat neuerdings eine schweizerische Namensschwester: Elisabeth Kopp (FDP), erste Ministerin in der Geschichte der Alpenrepublik und zuständig für das Departement Justiz und Polizei, wird in der Landespresse seit einigen Wochen mit dem Etikett „Eiserne Lady“ versehen. Grund für den uncharmanten Titel ist ihre kompromißlose Haltung im Streit um die Zwangsausweisung von 40 Tamilen. Rund 4.000 tamilische Asylbewerber leben derzeit in der Schweiz, die meisten von ihnen im Großraum Bern. Die Asylgesuche von etwa 1.000 Tamilen wurden bisher abgelehnt. Da sich die Asyl–Praxis der Schweiz nach wie vor an den Erfahrungen aus der Zeit des Zweiten Weltkrieges und dem klassischen Dauerasyl für politisch Verfolgte im engeren Sinn orientiert, haben auch die übrigen Bewerber kaum Chancen auf einen positiven Entscheid bei der derzeitigen Gesetzeslage - und die soll demnächst noch verschärft werden. Viele Tamilen wollen im Grunde auch zurück, aber eben nicht jetzt, da sie sich allein aufgrund ihrer ethnischen Zugehörigkeit in den Wirren des derzeitigen Bürgerkrieges an Leib und Leben gefährdet sehen. Tatsächlich hat die schweizerische Bundesregierung aufgrund eigener Einschätzung der Lage in Sri Lanka bisher fast immer (Ausnahme waren in der Regel rechtskräftig verurteilte Drogenhändler) auf die zwangsweise Rückschaffung abgewiesener Tamilen verzichtet. Nachdem ein genereller „Ausschaffungsstopp“ für Tamilen vom Bundesrat im letzten Frühjahr - ohne Folgen zunächst - aufgehoben worden war, stellte die Regierung im Oktober 40 Tamilen überraschend den endgültigen Ausweisungsbescheid zu, „um ein Exempel zu statuieren“, wie Kritiker meinen. Die Betroffenen, so die amtliche Sicht, stammten alle aus dem vom Bürgerkrieg verschonten Süden der Insel, verfügten dort über soziale Beziehungen und seien dort - im Gegensatz zum nördlichen Landesteil - nicht gefährdet. Über die Hintergründe, die im Berner Bundeshaus zum Wechsel in der Lagebeurteilung geführt haben, kann nur spekuliert werden. Sicherlich setzt man zum einen auf Abschreckung gegenüber weiteren Flüchtlingen, will zum anderen gegenüber der eigenen Bevölkerung Konsequenz und Handlungsfähigkeit beweisen. Wohlmeinende Kritiker unterstellen Frau Kopp, sie wolle mit diesem Ausweisungsschub radikalerern fremdenfeindlichen Stimmen den Wind aus den Segeln nehmen. Das jedoch, meint Pfarrer Jacob Schädelin, engagiert in der „ökumeni schen Basisbewegung für Flüchtlinge“, sei genau die falsche Strategie: „Je mehr man denen gibt, je mehr wollen die. Gegenüber der Rechten ist eine ganz klare Konfrontation nötig.“ Gegen die Ministerin hat sich eine breite Front gebildet: Der Flüchtlings– Hochkommissar der UNO, selbst ein Schweizer, legte in Bern ebenso Protest ein wie zahlreiche Parteien, Hilfswerke und die Londoner Zentrale von amnesty international. Die schweizerische ai–Sektion löste nach Absprache mit dem Headquarter gar - erstmals in einem west–europäischen Land - eine „urgent action“ aus, d.h. alle ai–Mitglieder wurden mobilisiert, brieflich bei der Regierung zu intervenieren. Vor allem die Kirchen aber gingen in der Tamilen–Frage in Opposition: Vom Schweizerischen Evang. Kirchenbund über den Ökumenischen Rat bis zum Weltkirchenrat in Genf forderten sie Bern zur Rücknahme der Ausweisungen auf. Im Oktober übernahmen zehn Kirchengemeinden im Raum Bern Patenschaften über die 32 ihnen namentlich bekannten der 40 mit Ausweisung bedrohten Tamilen; engagierte Gemeindemitglieder beherbergen die Flüchtlinge seither bei sich zu Hause. Die Landeskirche stellte sich offiziell hinter dieses Engagement. Frau Kopp blieb hart. Doch dann kam der Clou: Die Regierung des Kantons Bern, kraft Gesetz zur Ausführung des bundesrätlichen Beschlusses verpflichtet, weigerte sich. Hintergrund: Bei den Wahlen im Frühjahr 1986 wurden zwei Kandidaten einer „Freien Liste“, ehemalige Freisinnige, die man bei uns als Grüne bezeichnen würde, in die Kantonsregierung gewählt und bilden dort nun zusammen mit drei Sozis eine „rot–grüne“ Mehrheit gegenüber den vier bürgerlichen Regierungsräten. Einer der Grünen wurde sinnigerweise auch noch zum Vorsteher des Polizei– und Justizdepartements bestellt. Die Berner Kantonsregierung schlug der Bundesregierung die sogenannte „offene Internierung“ der 40 Tamilen vor, was die Gewährung eines zeitlich beschränkten Aufenthaltsrechtes bedeutet, eine Art „Asyl auf Zeit.“ Nach nur fünf Tagen lehnte der Bund das Internierunsgesuch des Kantons ab. Der Clinch nahm für schweizerische Verhältnisse (der Föderalismus, das Verhältnis Bund–Kantone, ist hier eine äußerst delikate Angelegenheit) kritische Züge an. Dann, am Freitag letzter Woche, erklärte sich die Bundesregierung zu einem Gespräch mit den kantonalen Kollegen bereit. Ergebnis: Eine gemeinsame Arbeitsgruppe soll die Dossiers der 40 Tamilen erneut überprüfen. Über den Sinn dieser Überprüfung sind die Meinungen geteilt: Nach Ansicht der Bundesregierung soll die Arbeitsgruppe die „Reisevorbereitungen“ (Papiere, persönliche Begleitung usw.) organisieren. „Dabei werden wir auf keinen Fall mithelfen,“ meint jedoch ein kirchlicher Vertreter. Die Kantonsregierung sieht zumindest einen Zeitgewinn. Der ist bitter nötig: Weitere Tamilen haben diesen Monat ihre Ausweisungsbescheide (Frist: 15. Februar) erhalten; im April stimmen die Schweizer über ein verschärftes Asyl– und Ausländerrecht ab.
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