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Wahlbetrug erst nach dem Mittagessen

■ 25 Millionen Philippinos stimmten gestern über eine neue Verfassung ab / In vielen Wahllokalen der Hauptstadt herrschten mustergültige Bedingungen, aber die Regierungspartei richtet sich unauffällig auf Unvorhergesehenes ein

Aus Manila Nina Boschmann

„Alles friedlich, alles unter Kontrolle, die Nation wartet nur darauf, zu wählen“, heißt es in Manila. Das ist, Putschgerüchte hin, Massaker her, seit Tagen die Botschaft der staatlichen Wahlkommission. Alle Wähler mußten sich für das gestrige Plebiszit über die neue Verfassung erneut registrieren lassen, ganze Geisterdörfer aus der Marcos–Ära wurden im Süden der Philippinen mehrere Tage geschlossen und selbst der Schnaps– und Bierausschank für 48 Stunden untersagt. Der Weltöffentlichkeit, die sich fast genau vor einem Jahr bei den Präsidentschaftswahlen am 7. Februar über die beispiellosen Marcosschen Betrugsmanöver erregte, soll mit dem Referendum ein Musterbeispiel für saubere Wahlen und funktionierende Demokratie präsentiert werden. Und in der Tat finden Beobachter am Montag in vielen Teilen der Hauptstadt nahezu mustergültige Bedingungen vor. In den Wahllokalen der Elendsviertel Tondo, Navotas und Malabon, die von der Bürgerbewegung für freie Wahlen „Namfrel“ als „kritisch“ eingestuft wurden, können in den frühen Morgenstunden zwar reger Andrang, aber keine Unregelmäßigkeiten festgestellt werden. Wo im vergangenen Jahr heilloses Tohuwabohu herrschte, warten geduldig Hunderte von Wahlwilligen in langen Schlangen, ihre Daumen in die angeblich wasserfeste Tinte zu tauchen und in den liebevoll gezimmerten und ordnungsgemäß überdachten Kabinen ihr Votum abzugeben. Lächelnde Lehrerinnen bewachen entspannt die mit mehreren Schlössern versehenen Urnen. Journalisten werden freundlich eingeladen, sich auf freien Schulbänken und Kinderstühlen niederzulassen. Die Frage nach den berühmten fliegenden Wählern, den wundersamen Zeitgenossen, die auf den Philippinen ihre Stimme mehrmals abgeben, wird in der Schule des Viertels Santiago mit Humor aufgenommen: „Nicht daß wir wüßten. Alles ist viel systematischer als im vergangenen Jahr. Vielleicht seid ihr die fliegenden Wähler? Wo seid ihr denn schon herumgekommen?“ Und Stimmenkauf? „I wo denn, Philippinos sind nicht an Geld interessiert.“ Die Vertreter von „Namfrel“ haben dem früh morgens nichts hinzuzufügen. Sicher, es gebe Gerüchte hier und dort, aber nichts Substantielles. Wie das Rennen wohl ausgehen wird? Die meisten Befragten rechnen mit 80 entdecken wir in der Rizal–Grundschule von Tondo den ersten, der seinen Namen nicht auf den vor den Wahlbüros ausgehängten Listen entdecken kann. Doch das beruht wohl, entgegen früheren Erfahrungen, auf einem echten Irrtum. Der Betroffene ist ein ehemaliger Offizier vom US–Luftwaffenstützpunkt Clark nördlich der Hauptstadt und von der neuen Verfassung selbstredend angetan. Daß der Entwurf proamerikanisch ist, findet er ganz in Ordnung: Schließlich haben die Philippinen wenig eigenes Kapital, wer soll denn sonst vor den Küsten des Archipels nach Öl bohren? Ein paar Meter von ihm entfernt steht eine Gruppe junger Männer, die mit gleicher Vehemenz ihren gegenteiligen Ansichten Ausdruck verleihen. Einer trägt eine Schirmmütze mit großem aufgeklebtem No, ein anderer ein T–Shirt mit der Aufschrift „Ich bin mutig genug, um nein zu sagen.“ Die Wahl sei nicht unabhängig, weil Cory Partei bezogen habe. Nicht mehr als ein Drittel Yes– Stimmen soll sie kriegen, wenn es nach ihnen geht. Ja, man habe die Verfassung gelesen, pflichten ihnen einige Frauen mittleren Alters bei, die sich bald als Marktfrauen und Marcos–Loyalistinnen entpuppen. Das Dokument werde die Reichen reicher machen: „Marcos war für die Armen, Aquino, die selbsternannte Präsidentin, ist für die Reichen. Die Verfassung ist für die Amis, und Philippinos können in ihrem eigenen Land keine Geschäfte mehr machen.“ Seit Washington den Ex–Diktator fallen ließ und auch seine Rückkehr auf die Philippinen mit sanftem Druck verhindert, fühlen sich die Marcosfans von der Schutzmacht im Stich gelassen. Die Tatsache, daß Aquino Bürgersteige und Nebenstraßen des Handelszentrums Divisoria in den vergangenen Wochen von illegalen Ständen räumen ließ, hat den Zorn der Frauen zusätzlich angeheizt. Die Schulrätin einen Stock tiefer ist dennoch nicht sonderlich besorgt über die „Philippi -no“ und „Iloca -no“–Zeichen vor ihrer Haustür: „Sehr unterhaltsam. Alles kommt mir wie Karneval vor.“ Die in grünen Uniformen gekleideten Law–and Order–Freiwilligen der staatlichen Wahlkommission sind nicht unbedingt mit Leidenschaft bei der Sache. So erklären zum Beispiel zwei 18jährige, die vor einer Schule in Guadaloupe Dienst tun, den Sinn ihrer Anwesenheit wie folgt: „Wir sollen bloß berichten, wenn es Tote gibt oder sich jemand komisch benimmt.“ „Zum ersten Mal seit Jahren“, so Isabel Wilson, Namfrelkoordinatorin für Makati, „finden wir hier die Wahlen wirklich fair.“ Und selbst die Wahlbeobachter vom Linksbündnis Bayan haben Schwierigkeiten, wirklich gravierende Unregelmäßigkeiten festzustellen. Die Mehrheit der Philippinos, die an diesem Morgen in langen Schlangen und oft stundenlang warten, bis sie an der Reihe sind, tun dies mit geduldiger Bestimmtheit. Auf die Frage: „Seid ihr für die Verfassung?“ folgt meist ein energisches „Ja sicher“. Im Gegensatz zu den Behauptungen der Rechtsopposition, die der Bürgerbewegung für freie Wahlen, Namfrel, Parteilichkeit vorwirft, versuchen die Freiwilligen vor Ort nach besten Kräften, unabhängig zu agieren. Wie im vergangenen Jahr sind viele Nonnen unter ihnen, die in fast allen Schulen dafür sorgen, daß auch bei größtem Andrang kein Chaos ausbricht. Im Computerzentrum von La Salle warten Hunderte von Programmierern schon am Vormittag auf Ergebnisse und Beschwerden. Fünf Parteien sind gemäß dem Aquino–Dekret als Wahlbeobachter zugelassen: die Rechtsopposition, die Liberalen, die konservative Unido und die heute im Regierungsbündnis dominierende PDP–Laban–Partei. Letztere ist die einzige, die an den Urnen zu finden ist und dies vielerorts gleich in überwältigender Zahl. Gemäß Gesetz sollen sie vor der Tür mit den Leuten reden, doch Namfrel–Leute klagen, daß die Freiwilligen mit den gelben Stickern immer zu mehreren an die Urnen wollten. In Bangkal wurden die Namfrel–Nonnen gar so bedrängt, daß sie Verstärkung zu Hilfe rufen mußten. Schwester Cecilia klagt: „Gleich morgens kamen etwa 50 merkwürdige Typen, die hier den Eingang blockierten und versuchten, die Leute draußen zu halten. Wir haben versucht, herauszufinden, ob sie wirklich von PDP sind, aber das Büro der Organisation hat uns keine Auskunft gegeben. Irgendetwas stimmt hier nicht.“ Als wir gegen Mittag in Bangkal ankommen, ist der Eingang des Wahllokals immer noch von den Gelben belagert, und eine übergeordnete Namfrel–Funktionärin erklärt der Presse, der Tumult beruhe auf einem Irrtum: „Es war zu heiß in dem Wahllokal und wir wollten eine Urne runterbringen. Da ich als Frau die nicht allein tragen kann, habe ich die Männer von der PDP zu Hilfe gerufen.“ Die PDP–Typen sind wortkarg und die Gegend gilt als Marcos–freundlich. Erinnerungen werden wach. Wie mag es andernorts außerhalb von Manila zugehen? „Wenn am Wahltag betrogen wird“, sagt eine erfahrene Streetfighterin, „dann für gewöhnlich nach dem Mittagessen.“ Alles andere passiert dann bei der Auszählung. Oppositionsparteien sind nach dem Aquino–Dekret im Gegensatz zu früher nicht daran beteiligt. Gegen Mittag kommen aus den Südprovinzen die ersten Nachrichten: Plebiszit wegen Undurchführbarkeit unterbrochen.

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