: „Wir distanzieren uns von uns“
■ Münchner Staatsanwaltschaft überzieht alternative Buchläden und Zeitschriften mit Strafbefehlen und Durchsuchungen „Fahrlässige Veröffentlichung“ und „Aufforderung zu Straftaten“ vorgeworfen / Prozeß gegen Spion beginnt
Aus München Luitgard Koch
„Das ist die gelungene Satire“, meint Christoph Schaddach vom Spion, einer Stadtzeitung von Münchenm, und zeigt auf den Strafbefehl. Der 25jährige Architekturstudent steht heute vor Gericht und soll sich nach Paragraph 111 wegen Aufforderung zu Straftaten verantworten. Sein Verfahren ist ein Beispiel für den Spaß, den die Staatsanwaltschaft nicht versteht, selbst wenn „Otto Staatstreu“ persönlich zur Feder greift. Unter der Überschrift „Geh bloß nicht zur Blockade“, macht Otto den Spion–Lesern der Nummer 48 klar, wer da mit welchen Hintergedanken im vergangenen November zu den Blockadetagen gegen die WAA aufbricht: ... aber machen wir uns doch nichts vor, die jungen und alten Chaoten machen diese Blockade doch nur, damit hier endlich die Russen an die Macht kommen“. Alles klar? Jawohl. Und der Staatsanwalt und der „objektive Leser“ verstanden sofort. „Sie ließen es zu, daß ein Beitrag abgedruckt wurde ..., in dem für jeden objektiven Leser erkennbar, nur zum Schein und satirisch davor gewarnt wurde, zu Blockaden im Gebiet der WAA zu gehen, in Wirklichkeit gerade zur Beteiligung ernsthaft und mit konkreten Angaben aufgefordert wurde“, heißt es. Also Strafbefehl: 1.800 Mark. Und weil es sich ja um Satire handelt, haben die Macher zu ihrer Verteidigung nicht nur den Münchner Rechtsanwalt Hartmut Wächtler herangezogen, sondern zum Prozeß als Sachverständigen in Sachen Satire Gerhard Polt geladen. „Wir distanzieren uns von uns“, beteuern die Spion–Leute. Denn „in ernster Form“ eine Satire zu verteidigen, scheint ihnen nicht der richtige Weg. „Man weiß nicht, ob die Wirklichkeit so satirisch oder die Satire so wirklich ist“, rätselt auch Anwalt Wächtler. Auf jeden Fall seien beim Prozeß interessante Demonstrationen der Pressefreiheit, ihrer Grenzen, der Satire und der bayerischen Justiz zu erwarten. Der Münchner Anwalt Jürgen Arnold vertritt die Buchhandlung „Basis“, eine der drei linken Buchhandlungen in München, denen Ende Januar ein Strafbefehl ins Haus flatterte. Jeweils 900 Mark sollen die Geschäftsführer Steffi Black und Michael Koppe bezahlen, weil in ihrem Laden, ebenso wie in den beiden anderen Buchhandlungen, die Zeitschrift Freiraum verkauft wurde. Der Freiraum, Zeitschrift der „anar chistischen Föderation Südbayern“, ist seit zwei Jahren das „Objekt der Begierde“ der Münchner Staatsanwaltschaft. Keine Nummer blieb verschont, alle wurden beschlagnahmt. Die gerichtlichen Verfahren gegen Freiraum mußten aber wieder eingestellt werden. Nun sind die Buchhändler an der Reihe. Noch argumentiert man nicht mit dem neuen Paragraphen 130a der „Antiterrorgesetze“, sondern bedient sich stattdessen des Paragraphen 111 aus dem Bayerischen Pressegesetz und beschuldigt sie einer „fahrlässigen Veröffentlichung“. „Danach ist strafbar, wer als verantwortlicher Redakteur, Verleger, Drucker oder Verbreiter am Erscheinen eines Druckwerks straf baren Inhalts mitgewirkt hat, sofern er nicht die Anwendung pflichtgemäßer Sorgfalt nachweist“, heißt es im Strafbefehl. Die Buchhändler hätten es versäumt, „bei dem allgemein bekannten extremen Charakter der Veröffentlichung“ sich „zumindest einen groben Überblick zu verschaffen“. Zum „extremen Inhalt“ des Blattes gehört neben einem Portrait des bayerischen Ministerpräsidenten (übrigens in vollkommen nüchternem Zustand) unter der Überschrift „Die Guerilla braucht Dich“, der Abdruck der Firmen, die am Bau der WAA beteiligt sind. „Vom Buchhandel wird gefordert, daß wir, noch bevor ein Staatsanwalt über die strafrechtliche Relevanz ent scheidet, selbst eine Vorentscheidung treffen und gegebenenfalls eine Zeitschrift nicht mehr verkaufen“, meint Steffi Black. Sie und ihre betroffenen Kolleginnen der Buchhandlungen „Tramplpfad“ und „Adalbert 14“ sehen darin die „perfekte Vorzensur“. Auswüchse dieses „Maulkorbs“: Die Buchhändler müßten einen hauptamtlichen Leser mit juristischen Kenntnissen anstellen oder ihre Zeitschriften vor dem Verkauf ihrem Anwalt vorlegen, was natürlich den Verkaufspreis um die Anwaltskosten erhöhen würde oder am Besten gleich neben ihrer Ausbildung ein Jurastudium absolvieren. Doch ganz so einfach wird die Münchner Staatsanwaltschaft die Buchhändler mit dem „Bayerischen Pressegesetz“ nicht maßregeln können. In dem zitierten Paragraphen wird das juristische Prinzip „Im Zweifel für den Angeklagten“ umgekehrt. „Das verstößt gegen die Strafprozeßordnung“, kritisiert Arnold. Mit dieser Kritik steht er nicht allein. Bereits vor fünf Jahren hat das Bayerische Oberste Landesgericht angeregt, diese Formulierung zu ändern. „Das Ganze ist eine Verletzung des Grundrechts und verfassungswidrig, denn in der Tat wird die Pressefreiheit durch die Selbstzensur des Buchhändlers beschnitten“, faßt Arnold zusammen. Während die Prozeßtermine für „Basis“ und „Adalbert 14“ noch nicht bekannt sind, hat die Justiz im Prozeß gegen Ursula Wolf vom „Tramplpfad“ bereits eine Schlappe einstecken müssen. Grund: ein Formfehler, den Verteidiger Wächtler monierte. Besuch von der Staatsanwaltschaft bekam in der letzten Januarwoche auch das Münchner „Netzwerk“. Der Durchsuchungsbeschluß der Räume richtete sich jedoch gegen das seit Tschernobyl in einer Auflage von bis zu 50.000 Stück 14tägig erscheinende Blatt Atomzeit Baiern. 3.000 Exemplare der Dezembernummer wurden beschlagnahmt. Grund: Im Leitartikel, der sich kritisch mit Bundesumweltminister Wallmanns Strahlenschutzvorsorgegesetz auseinandersetzt, wird der Minister als „GAUleiter“ bezeichnet. Aber nicht genug, auch Kanzler Kohl höchstpersönlich wird nach Ansicht der Staatsanwälte in diesem Blatt beleidigt. „... was er als feiler Scherge der Industrie zu garantieren hat, weiß er allemal“, heißt es im Blatt über Kohl.
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