: Verhaltene Reaktionen im Westen auf Gorbatschows Rede
■ Nach dem Auftritt des sowjetischen Parteichefs vor dem Friedens–Forum in Moskau USA: Nichts Neues / London: Reeller Wille zum Wandel / Genscher traf ZK–Vertreter
Washington/London/Paris/ Bonn (afp/ap/dpa) - Wegen fehlender neuer Elemente in bezug auf das Abrüstungsproblem ist die Rede von Kremlchef Michail Gorbatschow in amerikanischen Regierungskreisen am Montag mit Enttäuschung aufgenommen worden. In London erklärte der stellvertretende Außenminister Timothy Renton, es bestehe bei der Kremlführung ein „reeller Wille zum Wandel“, und der Westen müßte sich dessen bewußt werden. Doch habe Gorbatschow in seiner Rede nur ganz allgemeine Vorschläge unterbreitet. Die Behauptung Gorbatschows, daß die USA den ABM–Vertrag über die strategische Rüstung aufzugeben beabsichtigen, entbehre seiner Ansicht nach jeder Grundlage. Großbritannien befürworte die SDI–Forschung. Die Aufstellung von Weltraumwaffen würde allerdings ein Abkommen erforderlich machen. Das Presseorgan der kommunistischen Partei Frankreichs KPF, LHumanite, veröffentlichte am Dienstag breite Auszüge aus der Rede und hob insbesondere Gorbatschows Abrüstungsappell hervor. Die Äußerung über die „Demokratisierung“ der sowjetischen Gesellschaft und über die neue Handhabung der Menschenrechte wurden nur kurz angedeutet. In Bonn hat der SPD–Fraktionsvorsitzende Vogel am Dienstag die Entwicklung in der Sowjetunion als eine der möglicherweise weitreichendsten politischen Umwälzungen der letzten Jahrzehnte charakterisiert. Der stellvertretende CDU/CSU–Vorsitzende Rühe hat die Sowjetunion aufgefordert, mit konkreten Abrüstungsschritten bei sich selbst zu beginnen. Bundesaußenminister Genscher begrüßte die Rede Gorbatschows. Er empfing in Bonn den 1. stellvertretenden Leiter der Internationalen Abteilung des ZK zur einem politischen Meinungsaustausch. Genscher sprach dabei von den großen aber noch ungenutzten Möglichkeiten für eine wirtschaftliche Zusammenarbeit. Allerdings müsse dann auch die sowjetische Wirtschaftsgesetzgebung flexibler reagieren.
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