Koalitionszank um AIDS–Meldepflicht

■ Koalitionsparteien setzen Arbeitsgruppe zum Thema AIDS ein / Diskussion über Verschärfung der §218–Beratung und Erhöhung der Kranken–Selbstbeteiligung / Verlängertes Erziehungsgeld noch umstritten

Aus Bonn Oliver Tolmein

In die Koalitionsverhandlungen zwischen FDP und CDU/CSU sind zwei neue Themen eingebracht worden: AIDS und die Praxis des §218. Am Dienstag abend kam es in Zusammenhang mit der Meldepflicht für AIDS– Infizierte, die vor allem von der CSU gefordert wird, zu einer mehrstündigen hart ausgetragenen Kontroverse. Franz Josef Strauß hatte dazu Dienstag abend den Staatssekretär im bayerischen Innenministerium Gauweiler mitgebracht, was auch in CDU– Kreisen mit Befremden aufgenommen wurde. Zwischen Gauweiler und der Gesundheitsministerin Süssmuth, die gegen die von der CSU ins Gespräch gebrachte „codifizierte Meldepflicht“ und auch ge gen eine Meldepflicht für bestimmte Berufsgruppen wie Prostituierte ist, kam es zu einem heftigen Wortgefecht. Beschlossen wurde, eine Arbeitsgruppe zum Thema „AIDS“ einzusetzen. Damit wird es formal gleich wie „Innere Sicherheit“, „Steuerreform“ oder „Gesundheits– und Sozialpolitik“ behandelt. Fortsetzung auf Seite 2 Kommentar Seite 4 Bei der Besetzung der Unionsmitglieder dieser Arbeitsgruppe konnte Rita Süssmuth einen Punktsieg erringen: Nachdem ursprünglich Norbert Blüm Mitglied der Arbeitsgruppe werden sollte, wurde im Nachhinein doch der Süssmuths Positionen unterstützende Heiner Geißler benannt. Während Franz Josef Strauß sich an der Entwicklung von Horrorszenarien über die baldige AIDS–verseuchung der gesamten BRD–Bevölkerung betei ligte, hielt sich Kohl aus der Debatte heraus. Er beendete sie schließlich, indem er die FDP mit Blick auf die Anzahl der sozialen Indikationen aufforderte, sich an einer „Verschärfung der Abtreibungspraxis“ zu beteiligen. Da die FDP nicht bereit ist, den §218 an sich zu verschärfen, wurde über eine Veränderung der Beratungsrichtlinien gesprochen, die vor allem gegen die pro–familia–Beratungsstellen gerichtet sein soll. Konkret wurde darüber diskutiert, künftig die Beratung beider Partner vor einer Abtreibung zur Pflicht zu machen und mehr Ärzte an dem Beratungsvorgang zu beteiligen. Auch zum Thema „Schutz des ungeborenen Lebens“ wurde eine eigene Arbeitsgruppe gebildet. Auf der Bundespressekonferenz, die gestern vormittag von Heiner Geißler, Gerold Tandler und Irmgard Adam–Schwaetzer abgehalten wurde, wurden Fragen zu den Themen AIDS und §218 abgeblockt. Vorgestellt wurden dagegen die Ergebnisse zum Thema „Gesundheits– und Sozialpolitik“, die allerdings noch großen Interpretationsspielraum lassen. Der Bundeszuschuß für die Rentenversicherung soll um einen noch nicht genau definierten Betrag erhöht werden. Künftig sollen die Renten an die „verfügbaren Arbeitnehmereinkommen“ angekoppelt werden, was nach Meinung von Experten das Nettorentenniveau zur Disposition stellt. Es ist allerdings von den Unionsparteien nicht definiert worden, was genau das „verfügbare Arbeitnehmereinkommen“ sein soll. In der Gesundheitspolitik wird über die Erhöhung der sogenannten Selbstbeteiligungsbeiträge von Kranken diskutiert. Das Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung wurde beauftragt, bis Herbst diesen Jahres einen Gesetzentwurf für eine Strukturreform im Gesundheitswesen vorzulegen, der einen „stärkeren Wettbewerb und mehr Eigenverantwortung der versicherten“ ermöglichen soll. In der Familienpolitik kämpft die CSU derzeit noch gegen den Widerstand der FDP für eine Verlängerung der Erziehungsgeldzahlungen auf zwei Jahre.