: Für Abdallah wird die Gloire beschworen
■ Zum Prozeßbeginn gleicht der Pariser Justizpalast einer Festung / Französische Medien greifen die „teuflische“ Aura des Angeklagten dankbar auf und scheuen vor der Vor–Verurteilung Georges Ibrahim Abdallahs nicht zurück
Aus Paris Georg Blume
Schon an gewöhnlichen Tagen gleicht der Pariser Justizpalast mit seinen hohen Steinmauern auf der Notre–Dame–Insel einer gewaltigen Festung, von deren Gittern die Seine einem Wassergraben ähnlich dahinfließt. Seit Montag ist die Festung von 800 Polizisten rund um die Uhr beacht. In jeder Metro–Station ist das Ereignis annonciert. „Abdallah spricht“, steht überall - prophetisch - schwarz auf rot: Werbung für das Nachrichtenmagazin, das die Verteidigungsrede des Angeklagten - oder ist es die Schrift des Teufels? - im voraus druckte. Denn als ein Teufel wird Abdallah gehandel, mit seinen schwarzen Haaren, den dunklen Augen und dem unbeweglichen, undurchschaubaren Gesicht. In den Fernseh–Nachrichten werden seine angeblichen Greueltaten mit Krimi– Musik untermalt. Üerraschend ist daher die würdevolle Stille im großen Saal des Pariser Schwurgerichts. In diesem Saal stand vor fast 100 Jahren Emile Zola vor Gericht, als er sein Vaterland in der Dreyfus–Affäre beschimpfte. Hier wurde der Mörder des großen französischen Sozialisten Jean Jaures freigesprochen. Hier wurden nach der Befreiung die großen Prozesse der Kollaboration gehalten. Regelmäßig kam in diesem Saal der Dreck der französischen Geschichte auf den Tisch und wurde wieder begraben. Auch Georges Ibrahim Abdallah spricht an diesem Montag von Geschichte: „Wascht Ech die von unserem Blut befleckten Hände, bevor Ir vorgebt, über uns zu urteilen. Seit 40 Jahren ist unser Land das Opfer der Zerstörung und Balkanisierung durch Besetzer aus dem Westen, mit blonden Haaren und klaren Augen.“ Georges Ibrahim Abdallah hält seine Rede mit sanfter Stimme in perfektem Französisch und verläßt dann den Gerichtssaal, den er vor der Urteilsverkündung nicht wieder betreten will. Der Prozeß bleibt seinem Anwalt, Jaques Verges, dem Ver teidiger von Klaus Barbie, überlassen, dem undurchsichtigen Mann, der schon die algerischen Freiheitskämpfer der FLN in den fünfziger Jahren gegen den französischen Kolonialismus verteidigte. Auf der Gegenseite steht für den Nebenkläger, die USA, Anwalt Georges Kiejman, der zugab, daß die Staatsräson auf diesem Prozeß laste. Ihnen gegenüber sitzen die sieben „Geschworenen“. Zum ersten Mal findet eine Verhandlung nach dem neuen Gesetz statt, das in sogenannten „Terroristenprozessen“ Berufsrichter als Geschworene zitiert. Die Namen der Richter werden nicht veröffentlicht. Verhandelt werden tödlichen Attentate der „Libanesischen Revolutionären Armeefraktion“ (FARL) auf den US–Militärattache Ray und den israelischen Botschaftssekretär Barsimentov 1982 sowie das gescheiterte Attentat auf den US–Konsul Homme 1984 in Straßburg. In allen drei Fällen wirft man Abdallah, dem mutmaßlichen FARL–Chef, Beihilfe zum Mord vor. Wieweit die Beweise gegen ihn ausreichen, weiß keiner. 120 Journalisten quetschen sich zu Prozeßbeginn auf die harten Holzbänke des Justizpalastes. Nach dem Abtritt Abdallahs blieben eine Handvoll Kollegen sitzen - auf Wiedersehen bis zum 3. März, dem Tag des Urteilsspruches.
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