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Teheran zwischen Luftalarm und Kinofreuden

■ Gespaltenes Leben im siebten Golfkriegs–Jahr / Während die Bomben fallen, bemühte sich die Teheraner Führung um Feststimmung zum Jahrestag der Revolution / Noch immer werden Jugendliche rekrutiert / Noch keine Luftschutzbunker

Aus Teheran Bibi Jenkins

Im iranischen Fernsehen wurde kürzlich ein Stück gezeigt, in dem ein etwa zehnjähriger Junge, ausgerüstet mit einem Spielzeuggewehr, mit seiner kleinen Schwester Krieg spielte. In die einzelnen Szenen wurden immer wieder Dokumentaraufnahmen des „heldenhaften“ Stellungskrieges an der Front eingeblendet. Am Schluß kam ein leicht kriegsverletzter Vater ins Zimmer, der glücksstrahlend beide Kinder auf den Arm nahm. In dem Alter, in dem die Jugendlichen anderer Länder in der Schule und auf den Straßen Krimis und Indianerschlachten nachspielen, können iranische Jungen echte Gewehre erhalten und in den Krieg ziehen. Wer älter ist als zwölf Jahre, kann sich ohne Einwilligung der Eltern melden. Viele Jugendliche, die auf den Widerstand ihrer Eltern stoßen, laufen von zu Hause weg. Daher zielt die Propagandamaschinerie des Regimes besonders auf diese Zielgruppe ab. Sowohl in den Schulen, als auch im Kinderprogramm von Rundfunk und Fernsehen wird um sie geworben, und viele lassen sich verführen. Andere Jugendli che haben das Pech, auf eine der allgegenwärtigen Straßenpatrouillen zu stoßen. Sie werden einkassiert, wenn sie wehrpflichtig sind, sich aber nicht zum Kriegsdienst gemeldet haben. Offiziellen Angaben zufolge wurde für die beiden Offensiven „Kerbala 5“ und „Kerbala 6“ eine 100.000 Mann starke „Armee Mohammeds“ mobilisiert. Diese Zahl ist sicherlich übertrieben, aber seit Jahresbeginn wurden wieder Zehntausende von Jugendlichen in den sinnlosen Krieg gehetzt. Generationenkonflikt und Zahlenpropaganda Eltern, die benachrichtigt werden, daß sich ihr Sohn gemeldet hat, sind häufig ratlos und verzweifelt. Oft bekommen sie keinerlei Nachricht, ob ihr Sohn noch lebt, verletzt wurde oder in Gefangenschaft geraten ist. Sie versuchen, Informationen von Freunden ihres Sohnes zu erhalten und machen sich auf die Suche - eine meist vergebliche Odyssee durch die Krankenhäuser der verschiedenen Provinzen. Sie hören den irakischen Sender, Radio Bagdad, in der Hoffnung, daß ihr Sohn dort als Gefangener spricht. Nach Be ginn der beiden Offensiven meldete die irakische Seite täglich 20 bis 30.000 gefallene Iraner. Auch wenn diese Zahlen übertrieben sind, steht fest, daß Mohammeds 100.000 Mann starke Armee so ziemlich aufgerieben ist: Beide Zahlenangaben finden in diesen Radiomeldungen ihre blutige Entsprechung. Zum achten Jahrestag der Revolution wurde gleich eine neue Truppe auf die Beine gestellt, ebenfalls 100.000 Mann, die diesmal den Namen „Mehdis Armee“ trägt. Während der „Zehn Tage der Revolution“, die Parole ist dem Roman von John Reed über die Oktoberrevolution in Rußland mit dem Titel „Zehn Tage, die die Welt verändern“ nachempfunden), wurden offiziellen Angaben zufolge täglich 10.000 Mann an die Front geschickt. Ein Teheraner Filmfestival Ungeachtet der Eskalation des Städtekriegs versuchten die Behörden, so etwas wie Feststimmung aufkommen zu lassen. Die Teheraner Plätze waren festlich geschmückt, bunte Fahnen flatterten in den Straßen, als ein Filmfestival veranstaltet wurde. Neuere iranische Filme waren zu se hen, die bisher nicht im Kino gezeigt werden durften. Im Programm der ausländischen Filme liefen unter anderem „Lina Braake“, „Danton“, „1984“, „Der Mann aus Marmor“, „Wahl der Waffen“ und „Die Wildente“. Da so etwas in Teheran nicht alle Tage geboten wird, stürzten die Menschen in die Kinos. Die Hälfte der Karten war bereits durch das Ministerium für Islamische Führung vergeben worden. Für die restlichen Plätze, je nach Vorstellung und Kino ca. 300 bis 400, mußte man drei bis fünf Stunden Schlange stehen. Für die Patrouillen waren die Schlangen ein gefundenes Fressen. Auch hier suchten sie nach Wehrpflichtigen oder nahmen Frauen wegen unislamischer Kleidung fest. Manchmal, wenn gerade einer der begehrten Plätze näherrückte, gab es Bombenalarm. Mit gespaltenen Gefühlen blieb man dann in der Schlange. Sicherlich wäre es absurd, die letzte Stunde des Lebens in einer Kinoschlange zu verbringen, andererseits wollte man die einmalige Gelegenheit nicht verpassen, falls die Rakete woanders niedergehen sollte - selbst wenn die ausländischen Filme wegen darin enthaltener Liebesszenen um 15 bis 60 Minuten gekürzt waren. Zwiespältiger Alltag Das tägliche Leben geht weiter, und zugleich ist man ständig mit dem Tod konfrontiert, der wie ein Damoklesschwert über allem schwebt. Hat man die vernichtende Wirkung eines Raketeneinschlags gesehen, sitzt einem die Angst im Nacken. In der Erwartung eines Bombenalarms und des Lärms der Abwehrraketen wird man von Tag zu Tag geräuschempfindlicher. Ein einziger Knall und das Leben kann vorbei sein, können geliebte Menschen verloren oder verstümmelt sein. Betonröhren als Schutz vor Bomben Sechs Jahre schon wütet dieser Krieg, und seit drei Jahren brandet der Städtekrieg auf und ab. Erst jetzt, nachdem die Bevölkerung in all den Jahren bei Luftangriffen im Rundfunk aufgefordert wurde, sich in nicht existierende Bunker zu begeben, fällt es den Machthabern ein, etwas zu unternehmen oder die Leute aufzurufen, selbst für ihre Sicherheit zu sorgen. Parlamentspräsident Rafsanjani teilte kürzlich mit, daß nun neun Ministerien zusammenarbeiten würden, um Bunker zu bauen. Privatpersonen wurden aufgefordert, für sich und ihre Familie selbst Schutzräume einzurichten. Die Stadtverwaltung, die sonst jede bauliche Veränderung genehmigen muß, erwartet in diesem Falle keine Mitteilung. Was schnell zu haben ist und hoch gepriesen wird, sind vorgefertige Betonröhren. Ob sie wirklich Schutz bieten, ist fraglich, aber momentan gehen sie weg wie heiße Semmeln. Verspäteter Bombenalarm Doch nicht jeder kann es sich leisten, einen Bunker zu bauen. Das Hauptproblem bleibt: Der Bombenalarm geht meist erst los, wenn die erste Rakete bereits eingeschlagen ist, und dann ist es zu spät, sich in die vermeintliche Sicherheit zu begeben. Unter solchen Verhältnissen ist es nicht verwunderlich, daß der Haß der Betroffenen, die Wut derer, die Angehörige verloren haben oder aus häufig angegriffenen Städten geflohen sind, nicht dem irakischen Kriegsgegner, sondern dem eigenen Regime gilt.

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