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Suche Universaltalent bei miesem Lohn

■ Grüne Abgeordnete suchen mit internen Stellenausschreibungen hochqualifizierte, engelsgeduldige Mitarbeiterinnen für wenig Geld / Kenntnisse in Büroorganisation und Außenwirtschaftsdiskussion erwartet

Vor der Pinnwand O. Tolmein

Irgendwann landet jede, die den Geheimnissen der neuen Bundestagsfraktion der Grünen auf der Spur ist, im 5. Stock des Abgeordnetenhochhauses im Tulpenfeld. Zwischen Pressestelle und Fraktionsgeschäftsführung hängt SIE, knapp einen Quadratmeter groß, und verrät alles, was man über grüne Kultur, Animositäten und Ansprüche schon immer wissen wollte, aber nie beantwortet bekam: die Pinnwand - eine Fundgrube für Ansprüche und Sehnsüchte. Anonyme und weniger Anonyme, auf jeden Fall aber entnervte Mitarbeiterinnen haben auf den zumeist krakelig–handbeschriebenen Ringbuchblättern ihre Kommentare dazugesetzt - subversive Leistungen ersten Ranges. Dem AL–Abgeordneten Sellin, der für eine mäßig dotierte (BAT 4b) Sachbearbeiterinnen–Stelle ein Allroundtalent sucht, das neben „Schreibmaschine vom Band tippen“ und „perfekter Büroorganisation“ auch firm und erfahren ist in Kleinigkeiten wie „Fusionskontrolle, Außenwirtschaftsdiskussion EG/US, EG/3.Welt, EG/ Binnenmärkte“ oder „Förderung von Strukturveränderungen in den Industriegesellschaften nach sozialen und ökologischen Kriterien“, wird geraten, sich in Bankerkreisen umzusehen: „Brauchitsch fragen“, ohne dem Einheitslohnbefürworter Sellin aller dings zu verschweigen: „Da mußt du was drauflegen“. Der Wunsch der Fraktionssprecherin Rust nach einer „wiss. Mitarbeiter/in mit abgeschlossenem Hochschulstudium“ wird mit einer Information über Rusts eigenen Ausbildungsgang versehen, eben ohne Hochschulabschluß. Auch die kurz, knapp und zackig formulierte Stellenausschreibung Otto Schilys hat einen Alternativkommentator gefunden: „Gesucht wird“, hatte Schily schreiben lassen, „(steckbrieflich)“ wurde ergänzt, „ein/e wiss. Mitarbeiter/in für den Aufgabenbereich Außen– und Friedenspolitik, Finanzpolitik (tot oder lebendig, 50.000 Mark Belohnung)“. Ausrufezeichen und Seufzer, die verzweifelte Hintergründe erahnen lassen, zieren auch die Stellenausschreibung von Petra Kelly, deren komplette Bürocrew gekündigt hat: „Starke Nerven und hohe Belastbarkeit“ wünscht sie sich und kündigt an, daß „viel Post“ zu erledigen und „viele Auslandstermine vorzubereiten“ seien: „Viel mehr!“ warnt das später dazugekommene Graffiti. Ironisch auf den Punkt bringt es der bayerische MdB Hias Kreuzeder, der eine/n Sachbearbeiter/in „Bereich Landwirtschaft“ sucht: „Zu bearbeiten sind ca. 6 ha gutes Ackerland, idyllische Lage, eingeschränkte Viehzucht (Säue), biologisch bewirtschaftet. Voraussetzungen: Traktorführerschein, abgeschlossenes Hochschulstudium, Gummistiefel (Modell Landmann/–frau), Berufserfahrung; Pferdezucht nicht ausgeschlossen (Typ Ebermann). Bezahlung: Naturalien im Wert von BAT 4b.“

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