Banaler Tod nach einem Leben für die ETA

■ Der bei einem Autounfall in Algerien verunglückte ETA–Führer Txomin galt als Unterhändler gegenüber der spanischen Regierung / War seine Ausweisung aus Frankreich 1986 eine Strafe für Uneinsichtigkeit? / Von Zuckerbrot und Peitsche der Sozialistischen Partei Spaniens

Von Antje Bauer

Ist es möglich, im Nachhinein den Moment zu bestimmen, von dem ab ein Mensch auf seinen Tod zugelebt hat? Wenn ja, dann ist es für Txomin Iturbe Abasolo der 13. Juli 1986 gewesen - der Tag, an dem ihn die französische Regierung in den Gabun auswies. Denn auf diese Zwangsmaßnahme und Txomins vergebliche Versuche, von dort nach Kuba zu gelangen, folgte der Autounfall am 27. Februar in Algerien, das ihm im November Aufnahme gewährt hatte. Mit 43 Jahren ein trauriger Tod für einen, der sein ganzes Erwachsenenleben für den bewaffneten Kampf da war. Frühes Exil Nach Süd–Euskadi, ins spanische Baskenland, konnte er schon seit 1968 nicht mehr legal reisen. Nachdem die Guardia Civil den ersten „Etarra“ umgebracht hatte, war das ETA–Mitglied Txomin ins französische Baskenland (“Nord– Euskadi“) geflohen. Zurückgekehrt ist er heimlich wohl immer wieder. Jedenfalls wird er sowohl mit der Entführung des deutschen Konsuls Beihl wie mit der erzwungenen Himmelfahrt des Franco– Innenministers Carrero Blanco 1973 in Verbindung gebracht. Daß er selbst verschiedenen Attentaten mit knapper Not entgeht, fördert seinen Ruhm im Baskenland. 1981 wird er angeblich der Führer der ETA–Militar. Zwischen zwei Strömungen innerhalb der Organisation, einer, die den Klassenkampf anstrebt, und einer, die eher auf nationale Befreiung des Baskenlands abzielt, neigt er den Nationalisten zu. Erste Gespräche mit Vertretern der baskischen Parteien soll es schon 1977 gegeben haben. Und 1984 halten sich hartnäckig Gerüchte über Verhandlungen zwischen Txomin und Vertretern des spanischen Staates. Sie scheitern daran, daß der sozialistische Innenminister Jose Barrionuevo öffentlich erklärt, Verhandlungen mit der ETA werde es erst geben, wenn diese ihre Waffen niedergelegt hätte. Txomin hingegen will nur auf der Ebene der sogenannten „Alternative KAS“ verhandeln, einem Forderungskatalog, den auch die linke Parteienkoalition Herri Batasuna, die jetzt auch im baskischen Parlament sitzt, vertritt: 1. Amnestie für die Gefangenen und Flüchtlinge; 2. Anerkennung des Rechts Euskadis auf Souveränität, Auflösung aller antidemokratischen Organisationen; 3. Autonomiestatut mit Euskera (Baskisch) als einziger offizieller Sprache; 4. Rückzug der spanischen Ordnungskräfte und ihre Ersetzung durch solche, die unter der Kontrolle der baskischen Regierung stehen sowie 5. Verbesserung der Lebensbedingungen der Arbeiter. Unvereinbare Standpunkte 1986 gibt es der spanischen Tageszeitung El Pais zufolge eine erneute geheime Verhandlungsrunde. Sie beginnt im März, im April wird Txomin jedoch von der französischen Polizei festgenommen. Die Verhandlungen gehen zwar weiter, aber ohne Erfolg. Der spanische sozialistische Regierungschef Felipe Gonzalez dementiert Presseberichte über Gespräche mit der ETA: Es gebe nichts zu verhandeln. Als sich keine Lösung abzeichnet, wird Txomin, obwohl er in Frankreich politisches Asyl genießt, kurzerhand in den Gabun ausgewiesen. Unterstützt wird dieses Verfahren durch ein neues französisch–spanisches Abkommen zur Ausweisung von „Etarras“. Als Txomin bereits in Algerien lebt, wird - so behauptet El Pais - die Verhandlung wieder aufgenommen. Ob es bei den Gesprächen Annäherungen gegeben hat, bleibt Spekulation. Die sozialisti sche Regierung unter Felipe Gonzalez hat Verhandlungen offiziell immer abgestritten, und die baskische sozialistische Partei PSE hat es während der jüngsten Koalitionsverhandlungen dort geschafft, auch die konservative PNV auf eine Ablehnung „politischer Verhandlungen“ zu verpflichten. Andererseits ist es kein Geheimnis, daß sich die PNV schon lange um Verhandlungen mit der ETA bemüht. Sie weiß, daß mit Repression allein der bewaffnete Kampf in Euskadi nicht zu beseitigen ist. Und so ist auch die Bemerkung des PNV–Vorsitzenden Javier Arzallus wenige Tage nach der Koalitionsbildung mit der PSE zu verstehen, daß die Definition des Begriffs „politische Verhandlungen“ unterschiedlich ausfallen könne. Mit Zuckerbrot und Peitsche für den Zentralstaat Die Sozialistische Partei mag gehofft haben, aus Spanien einen Föderalstaat nach dem Muster der Bundesrepublik aufbauen zu können. Zur Bekämpfung der zentralstaatsfeindlichen Kräfte wie der ETA hatte sie auf die Repression gesetzt - der Plan ZEN (“Sonderzone Nord“) sowie das Auslieferungsabkommen mit Frankreich zeugen davon. An die Etarras war andererseits das Angebot der Wiedereingliederung gegangen unter der Voraussetzung, daß sie auf den bewaffneten Kampf verzichteten. Vor zwei Wochen sind auch einige Artikel des Antiterror–Gesetzes außer Kraft gesetzt worden, und das gesamte Gesetz soll nach dem Willen der Sozialisten abgeschafft werden. Die PSOE ist jedoch nicht bereit, über ein anderes als ihr eigenes Modell des Föderalismus zu diskutieren. Im Baskenland hingegen ist man seit der Franco–Zeit den - auch bewaffneten - Widerstand gegen das Zentralregime gewohnt. Die ETA hat im vergangenen Jahr einige Schläge einstecken müssen: die Ausweisung von mittlerweile 44 Basken aus Frankreich, die Entdeckung von zwei Schlupfwinkeln, in denen Entführte gefangen gehalten wurden, die Aufdeckung eines Waffendepots, die Festnahme von sechs mutmaßlichen Mitgliedern des Comando Madrid und auch Kritik an ihren eigenen Aktionen. So kamen im vergangenen Jahr bei ETA–Anschlägen zum ersten Mal nicht nur Polizei– und Militärbeamte ums Leben. Die Ermordung der ehemaligen Genossin Yoyes durch „Etarras“ führte zu heftiger Kritik auch in den eigenen Reihen. Dennoch konnte die ETA–nahe Koalition Herri Batasuna sowohl in den Parlamentswahlen im Juni als auch in den Regionalwahlen im November an Sitzen zulegen. Und die neue Koalition zwischen PSE und PNV im Baskenland scheint wenig geeignet, das Verhältnis der Basken zur Regierung in Madrid zu harmonisieren. Wenn diese sich in der nächsten Zeit einer neuen Generation von „Etarras“ gegenübersieht, die sich dem antiimperialistischen Widerstand zuwendet und sich nicht mehr damit begnügt, Autonomie für das Baskenland zu fordern, wird die Regierung Gonzalez vielleicht einmal bedauern, Txomin in den Gabun ausgewiesen zu haben.