: Kritische Richter in der Offensive
■ Richter/innen und Staatsanwälte/innen gründen bundesweite Organisation / Rechtskonservative Standesorganisation „Deutscher Richterbund“ bekommt Konkurrenz / Neue Richtervereinigung kritisiert Volkszählung und neue Sicherheitsgesetze
Aus Frankfurt Felix Kurz
Kritische Richter/innen und Staatsanwälte/innen aus dem ganzen Bundesgebiet haben am Wochenende in Frankfurt eine neue Richterorganisation ins Leben ge rufen. Im Gründungsaufruf der „Neuen Richtervereinigung - Zusammenschluß von Richterinnen und Richtern, Staatsanwältinnen und Staatsanwälten e.V.“ heißt es: „Eine neue Vereinigung, welche kritikbereite Richter zu gemeinsamem Handeln zusammenführt, ist notwendig, weil die traditionellen Standesvereinigungen, wiewohl teilweise verjüngt und flexibler als früher, in konservative Verbandsbündnisse eingebettet sind, nicht gesamtgesell schaftlich, sondern standespolitisch denken und vor Ort nicht selten unkritische Stützen der Justizverwaltungen sind.“ Auch in der ÖTV–Fachgruppe „Richter und Staatsanwälte“, die bisher als Alternative zur rechtskonservativen Standesorganisation „Deutscher Richterbund“ galt, sehen sich die Gründungsmitglieder schlecht aufgehoben. Sie würden dort lediglich in ihrer Grundsituation als Arbeitnehmer wahrgenommen, justizpolitische Auffassungen dürften sie dagegen in der ÖTV „nur gefiltert oder gar nicht äußern“. Als der Sprecher der ÖTV–Fachgruppe, Menne, von der Gründung erfuhr, bezichtigte er die Initiatoren, die zum Teil aus der ÖTV kommen, der Spaltung. Unter den rund 50 Gründungsteilnehmern, die aus allen Gerichtssparten und verschiedenen Instanzen kommen, vertrat man dagegen die Auffassung, daß ein Zusammenschluß von Mitgliedern der Dritten Gewalt „autonom“ sein und „seine Stimme frei erheben“ müsse. Zu oft würde die Dritte Gewalt immer stärkeren Anfechtungen und Zumutungen ausgesetzt, welche „bis zum Mißbrauch der Justiz zu Zwecken politischer und wirtschaftlicher Herrschaftssicherung hinreichen“. Fortsetzung auf Seite 2 Kommentar auf Seite 4 Diesen Entwicklungen wird sich die „Neue Richtervereinigung“ widersetzen, so der Gründungsaufruf. Sie fühlt sich ausdrücklich der Tradition des republikanischen Richterbundes der Weimarer Zeit verbunden und will aus „der schändlichen Geschichte im Dritten Reich Lehren ziehen“. Die „Neue Richtervereinigung“ versteht sich nicht ausschließlich als Standesvereinigung. Sie will sich auch aktiv bei gesellschaftlichen Diskussionen wie beispielsweise zu Fragen des Umweltrechts, der Sicherheitspolitik, der Gleichstellung der Frauen auch in der Justiz oder zum Ausländer– und Asylrecht, einschalten. So lehnt man die neuen Sicherheitsgesetze und die Kronzeugenregelung genauso wie die Erschwerung von Schwangerschaftsabbrüchen ab, die vor allem die „Schwachen unter den Frauen“ treffen werde. Schwere Bedenken haben die Richter/innen und Staatsanwälte/ innen auch gegen die Volkszählung. Sie rügen dort, daß der Gesetzgeber in zwei Punkten die Auflagen des Bundesverfassungsgerichts nicht erfüllt habe. Zum einem habe der Gesetzgeber nicht ernsthaft geprüft, ob die Volkszählung überhaupt notwendig sei. Zum anderen fehlen ihrer Meinung nach die zwingend vorge schriebenen Einzelgesetze über die Fragen, wer die erhobenen Daten wie und zu welchem Zwecke überhaupt auswerten darf. Zu den wesentlichen Arbeitsschwerpunkten der Vereinigung gehört vor allem die Stärkung der richterlichen Unabhängigkeit, die man gefährdet sieht. So verlangt die neue Organisation, deren Mitglieder sich „links von der Mitte“ einordnen, die Schaffung von mehr Transparenz bei Personalentscheidungen und den „Abbau des hierarchischen Karrieresystems“. Weiter will man Hilfestellungen bei der Abwehr von Disziplinierungsmaßnahmen leisten und die Kollegen/innen ermutigen, zu „eigenständigen Entscheidungen“ zu finden. Die notwendige demokratische Kontrolle der Justiz will die neue Konkurrenz zum Richterbund durch „Justizkritik in der Öffentlichkeit und unter Kollegen“ fördern. Zu ihrem ersten Vorsitzenden wählten die Gründungsmitglieder einstimmig den 54jährigen Stuttgarter Richter am Oberlandesgericht, Klaus Beer. Dem fünfköpfigen Vorstand, im dem mindestens zwei Frauen vertreten sein müssen, gehören weiter an: Dorothea Schiefer (42) vom Oberverwaltungsgericht in Münster, die Überlinger Jugend–und Familienrichterin Friederike Schmidt (41), der Tübinger Amtsrichter Udo Hochschild (42) und der ebenfalls 42jährige Frankfurter Staatsanwalt Klaus Pförtner. ..dietageszeitung sucht......dietageszeitung sucht...dietageszeitung sucht... dietageszeitung sucht zum nächstmöglichen Termin eine/n WERBEFACHFRAU / WERBEFACHMANN Sie/er sollte Kenntnisse im Bereich Marketing, Public Relations und Printmedien haben. Eine entsprechende Ausbildung würde auf uns nicht abschreckend wirken, praktische Erfahrungen würden uns geradezu entzücken. Notwendig sind Elan und Durchsetzungsvermögen, sowie die Fähigkeit, in einer 3er Abteilung selbständig und kooperativ zu arbeiten. Bewerbungen bitte bis zum 1.4.1987 an: die tageszeitung Abteilung Werbung Wattstraße 11–12 1000 Berlin 65 Nur schriftlich.
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