piwik no script img

Willkür statt Waffenruhe im Lagerkrieg

■ Nach wie vor sind die Palästinenserlager im Libanon umzingelt / Einhaltung der Vereinbarungen über Aufhebung der Blockade unterliegen der Laune der Milizionäre / Aus Beirut Petra Groll

Für die internationale Öffentlichkeit scheint die Belagerung der Palästinenser im Libanon gelöst, seit die Amal–Miliz zugestimmt hat, daß Nahrungsmittel in die Lager gebracht werden dürfen. Vor Ort sieht die Situation jedoch ganz anders aus. Ob die Frauen tatsächlich die Lager zum Einkaufen verlassen können und ob ihnen danach auch die Rückkehr ins Lager gestattet wird, hängt allein von der Willkür und Laune des örtlichen Milizchefs ab.

„Haben wir uns nicht gestern gesehen, an der Flughafenstraße?“ ein vorsichtiges Lächeln huscht über das Gesicht der zierlichen Frau. Bei der geflüsterten Begrüßung schlagen ihr in der kalten Morgenstunde die Zähne aufeinander. Seit sieben Uhr in der Frühe hocke sie hier, berichtet Umm Bilal, eine knapp 30jährige Palästinenserin. Vor zwei Tagen hat sie das Lager Borj–al–Brajneh verlassen, hat für 2.700 libanesische Lira, fast den Monatslohn eines Arbeiters, eingekauft. Als sie zurückkehren wollte, verboten ihr Milizionäre der Schiitenbewegung Amal den Zugang. Auf der anderen Seite des Lagers ging es ihr nicht besser. Dort kontrollierten Einheiten der libanesischen Armee die Front. Nun sitzt Umm Bilal erneut hier und hofft, an diesem dritten Tag endlich zu ihrer Familie nach Borj–al–Brajneh zu gelangen. „Vielleicht lassen sich die Milizionäre durch die Anwesenheit einer handvoll ausländischer Journalisten beeindrucken“, meint sie und täuscht sich nicht. Doch ohne den Verantwortlichen der Amal–Miliz geht gar nichts und der ist noch nicht eingetroffen. „Im Prinzip herrscht Waffenruhe“ Die Geschichten der zehn bis zwölf anderen Frauen und ihrem halben Dutzend Kinder, die im Schutz einer niedrigen Mauer neben Pappkartons, Kunststoffsäcken und Plastiktüten hocken, gleichen der von Umm Bilal. Eine ist am Vortag aus dem Camp gekommen, eine andere schon vier Tage unterwegs. Sie alle haben die Kämpfe um Borj–al–Brajneh überlebt, die Ende Oktober 86 im Rahmen des „Lagerkrieges“ der libanesischen Schiitenbewegung Amal gegen drei Palästinenserlager ausgebrochen sind. Zusammen mit ca. 20.000 Bewohnern des Lagers Borj–al–Brajneh am Rand der südlichen Vororte Beiruts haben sie die totale Lebensmittel– und Medikamentenblockade erlebt, die erst nach langwierigen diplomatischen Interventionen vier Monate später, am 18.02.87, ansatzweise gelockert wurde. Nach einem dramatischen Appell von Bewohnern des Lagers Chatila hatte einer der höchsten islamischen Würdenträger den Eingeschlossenen erlaubt, Hunde, Katzen, notfalls sogar Menschenfleisch zu essen, um nicht zu verhungern. Dreimal konnte seitdem das UN–Hilfswerk für Palästina– Flüchtlinge Mehl, Trockenmilch und Weizenschrot nach Borj bringen, und „im Prinzip“ dürfen täglich zwischen 8.00 und 13.00 Uhr Frauen das Camp verlassen und einkaufen. „Im Prinzip“ herrscht auch Waffenstillstand im „Lagerkrieg“. Allein auf dem Weg zum Einkaufen oder zurück nach Borj sind seit dem 18.02.87 19 Frauen erschossen und 59 von Scharfschützen verletzt worden. Hier, nur etwas mehr als einhundert Meter vom Lager entfernt, sind die Frauen auf Gedeih und Verderb den Milizionären ausgeliefert. „Es war schrecklich heute morgen, sie haben mich beschimpft und geschlagen“, berichtet mitleidig eine der verschwindend wenigen Anwohnerinnen des Frontgebietes, eine schiitische Hausfrau, die mit ihrer Familie auch die letzten Kriegsmonate in dieser Kampfzone ausgehalten hat. Zwischen zwei längst unbewohnten und zerschossenen Wohnblöcken haben die jungen Amal–Milizionäre, kaum einer älter als 25 Jahre, ihre Stellungen eingerichtet. Feldbetten, Wolldecken und offenes Feuer, an dem sie sich wär men, Tee kochen. Neben Sturmgewehren, Handgranaten und Revolvern sind fast alle mit martialisch großen Messern ausgerüstet. Einer, der sich als „Superstar“ vorstellt, hat sich von seiner Frau Schal, Handschuhe (ohne Finger natürlich), Stulpen und eine Pudelmütze in den Farben seiner Miliz stricken lassen, rot–schwarz– grün. Sie alle stehen auf Pop und Disco und fragen andauernd, ob die ausländischen Journalisten diese oder jene Rockgruppe kennen, von ACDC über Bruce Springsteen bis Grandmaster– Flash. „King of Breakdance“ mit Maschinenpistole Ein anderer wird als „King of Breakdance“ vorgestellt und es fehlt nicht viel, daß er an Ort und Stelle eine kleine Sondervorstel lung seiner Talente gibt. Ali, ein sehr junger Mann mit auffallend hellen Haaren und grünen Augen erzählt, seine Mutter sei Deutsche aus dem lippischen Detmold gewesen, aber gestorben, als er erst zwei Jahre alt war. Als die Israelis 1982 in Beirut einmarschierten, hat er viele Probleme gehabt, wegen seiner blonden Haare. „Alle haben gedacht, er wäre Jude“, erklärt „Superstar“. „Jetzt schafft er selber Probleme, vorgestern hat er zwei von den Frauen erschossen, einfach so, er spinnt ein bißchen“, berichtet „Superstar“ nicht ganz ohne eine Spur bewundernden Untertons. Heute gibt sich Ali ganz friedlich, scherzt mit den Palästinenserinnen, denen nicht viel anderes übrig bleibt, als mit ausgesuchter Freundlichkeit auf seine Sprüche einzugehen. „Wer weiß, ob er nicht gleich auf uns schießen wird“, sagt Umm Bilal mit bitterem Lächeln, als Ali sich außer Hörweite befindet. Ihre Schwägerin, im siebten Monat schwanger, wurde zwei Tage zuvor auf dem Rückweg ins Lager erschossen. „Frag sie, was sie von uns wollen, warum sie so sind. Wir wollen nichts, als zu unseren Familien zurückzukehren und in Frieden im Camp zu leben“, sagt sie gut hörbar, als Ali wieder in unsere Nähe kommt. Er hat eine knappe Antwort bereit: „Die Palästinenser sind einfach ein Scheiß–Volk“, sagt er. „Wir wollen sie nicht mehr, sie sollen abhauen.“ Wohin? „Egal.“ Was haben sie ihm getan? „Sie sind ein Dreck. Wer kümmert sich um die Schiiten? Immer sind wir die Verlierer. Im Südlibanon bekämpfen uns die Israelis, in Beirut die Drusen, die Kommunisten und Sunniten. Kann vielleicht einer von uns Präsident im Libanon werden? - Und ihr sorgt euch um dieses Drecks–Volk.“ Als um 8.30 Uhr ein Volvo mit Vollgas auf den Platz rast, wird das Gespräch schließlich beendet. „Rashid“, der militärisch Verantwortliche von Amal in diesem Frontabschnitt, ist angekommen. Die Palästinenserinnen nehmen ihre Lasten auf den Kopf, die Kinder an die Hand und trotten schweigend und folgsam hinter „Rashid“ her, zur letzten Sandsack–Barrikade vor dem Niemandsland. „Rashid“ weist seine Leute an, Tüten, Taschen und Säcke zu öffnen und zu durchsuchen. Sogar die Zigaretten und Streichhölzer gehen heute ohne große Beanstandung durch, was, so flüstert Umm Bilal, lediglich auf die Anwesenheit der ausländischen Journalisten zurückzuführen ist. „Einer Nachbarin haben sie beim letzten Mal alles geklaut“, sagt sie. „Und sie freuen sich, wenn sie einfach alles aus den Tüten nehmen und durcheinanderschmeißen können. Linsen und Reis und Zucker. Aber das sortieren wir dann wieder auseinander“. „Rashid“ schickt die Frauen, eine nach der anderen, los. Er will nicht, daß sie in Grüppchen gehen. Kaum haben die ersten zwei Frauen die Kontrolle und diese letzte Position von Amal hinter sich gelassen und sich auf den ca. 100 Meter langen, unendlichen Weg gemacht, tauchen aus den Ruinen von Borj–al–Brajneh ein paar Frauen auf, überqueren die schmale Umgehungsstraße, die den Rand des Lagers markiert und bewegen sich hastig und offensichtlich verunsichert auf uns zu. Ein alter Mann mit einer langen weißen Koffeiya auf dem Kopf und auf einen knorrigen Ast gestützt taucht hinter dem ausgebrannten Wrack eines Mercedes auf, dann kommen wieder zwei Frauen mit Kindern an der Hand. „Superstar“ hievt Umm Bilal den sicher 20 kg schweren Plastiksack auf den Kopf. Sie lädt die Journalisten zum Tee ein, und macht sich auf den Weg. Pappkulisse im Kriegsfilm Plötzlich peitschen Kugeln gegen die nächsten Hauswände, die Frauen lassen ihre Tüten fallen und kommen in Panik schreiend zurückgerannt. „Rashid“ brüllt in sein Walkie–Talkie und schreit gleichzeitig die Frauen an, sie sollten sofort umdrehen, ihre Sachen schnappen und zusehen, daß sie ins Lager kommen. Dann bewegt sich auf der gegenüberliegenden Seite nichts mehr, Borj–al– Brajneh erinnert wieder an die Unwirklichkeit einer Papp–Kulisse in einem Hollywood–Kriegsfilm. Dem Amal–Verantwortlichen scheint es für heute zu genügen, jetzt will er auch, daß die Journalisten ganz schnell verschwinden. Noch einmal unterbrechen Schüsse den Abgang. Im Schutz des nächsten Hauses hat ein Mann ein paar Packen Fladenbrote, Paletten mit Eiern und Zigarettenstangen aufgestapelt, mit den Palästinenserinnen macht er heute kein Geschäft mehr. Wir sind noch nicht weg, da braust „Rashids“ Volvo schon an uns vorüber. Keine halbe Stunde ist seit seiner Ankunft vergangen, heute kann niemand mehr das Lager betreten oder verlassen. Es waren höchsten 20 von 20.000 Lagerbewohnern, die diese Gelegenheit nutzen konnten.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen