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Klinik–Ärzte wollen AIDS–Test am Patienten

■ HIV–Antikörpertest in Krankenhäusern generell ohne Zustimmung des Patienten durchzuführen, wurde kontrovers diskutiert / Urologen fordern bessere epidemiologische Untersuchungen / Virologe Hunsmann: „Kommen ohne Datenerfassung nicht aus“

Hamburg/Mayschoß (dpa/taz) Ob Patienten ohne ihr Wissen auf AIDS–Antikörper getestet werden dürfen, wird von Klinikleitern, Ärzten und Gesundheitspolitikern unterschiedlich beurteilt. Die taz berichtete, daß an der Universitätsklinik in Mainz Blutuntersuchungen ohne Zustimmung der Patienten durchgeführt werden. Auch in Berliner Kliniken seien HIV–Antikörpertests ohne Nachfrage bei Blutern zur Regel geworden und bei Schwangeren vorgenommen worden. Der Leiter des Instituts für klinische und molekulare Virologie an der Universität Erlangen– Nürnberg, Bernhard Fleckenstein, bestätigte auf Nachfrage die Mainzer Auffassung, daß bei AIDS–Verdacht zum Schutz von Ärzten und Pflegepersonal Tests notwendig seien. Fleckenstein hält es aus Gründen der ärztlichen Schweigepflicht im übrigen für „äußerst problematisch“, alle Maßnahmen für eine genaue Indikation öffentlich zu analysieren. Die serologischen Untersuchungen würden bei AIDS nicht anders gehandhabt als bei anderen Viruserkrankungen. Wenn das klinische Bild es geraten erscheinen lasse, sind nach den Worten des Dekans der Humanmedizin am Gießener Uni– Klinikum, Professor Dieter Rin gleb, Blutuntersuchungen auf AIDS auch ohne Wissen des betreffenden Patienten erlaubt. „Noch ist es nicht so weit, aber wir sind auf dem Wege, diesen Untersuchungen recht breiten Raum zu geben“, denn jeder, der operiert werde, verliere Blut und ermögliche theoretisch eine Ansteckung mit dem AIDS–Virus. Selbst die Arbeit des Personals mit Schutz handschuhen garantiert nach seinen Worten keinen hundertprozentigen Schutz. „Endlich eine bundeseinheitliche Regelung“ fordert der Leiter des Münchener Gesundheitsamtes, Norbert Kathke. Gerade auf den unfallchirurgischen Abteilungen wird nach seinen Worten der Schutz des Personals ein immer größeres Problem. Kathke befürwortet AIDS–Tests ohne Wissen des Patienten. In Hamburg will die Gesundheitsbehörde im nächsten Monat mit einer neuen Dienstanweisung für die städtischen Krankenhäuser die Frage von AIDS–Tests bei Patienten regeln. Grundsätzlich gilt dann, daß nur mit Einwilligung der Patienten getestet werden darf. Wenn es aber Symptome gebe, die auf eine HIV–Infektion schließen lassen, so ein Sprecher der Gesundheitsbehörde, dann sei der Test im Behandlungsvertrag eingeschlossen. Der AIDS–Beauftragte der schleswig–holsteinischen Landesregierung, Professor Reinhard Wille, nannte das Mainzer Vorgehen „medizinisch mehr als bedenklich“. Nach seiner Ansicht darf ein AIDS–Test grundsätzlich niemals ohne Einverständnis der Patienten vorgenommen werden. Das Blut ohne Wissen der Patienten auf AIDS–Erreger zu testen, erklärten unter anderem das hessische Sozialministerium, die saarländische Gesundheitsministerin, die Leitung des Berliner Universitätsklinikum Steglitz, die Pressestelle der Medizinischen Hochschule Hannover, der Bremer Gesundheitssenator und die städtischen Kliniken in Kassel, Nürnberg und München in der Regel für unzulässig. Breit angelegte klinische Untersuchungen über das Auftreten von AIDS in der Bundesrepublik haben namhafte Wissenschaftler bei einem Presseseminar der Bayer AG in Mayschoß an der Ahr gefordert. Frau Professor Eilke B. Helm vom Zentrum der Inneren Medizin des Frankfurter Universitäts–Klinikums nannte drei Forschungsschwerpunkte: 1. Epidemiologie von AIDS nicht auf Kliniken zu beschränken; 2. Den Verlauf einer AIDS–Infektion intensiver zu beobachten; 3. Das letzte Stadium der Krankheit sei ständig wissenschaftlich neu zu erforschen und zu beschreiben, da es uneinheitlich sei und vielen Wandlungen unterliege. Neuere Infektionsformen haben das Spektrum der bisher bekannten Infektionen deutlich erweitert. Prof. Helm, bezog sich auf jüngste Daten einer seit Ende 1984 laufenden Frankfurter Studie, die unter anderem eine Häufung von Tuberkulosefällen unter AIDS–Infizierten ausweist. Anhand jüngster Statistiken über die Zunahme der AIDS–Erkrankungen in der Bundesrepublik und den USA unterstrich Prof. Johanna LAge–Stehr vom Robert–Koch–Institut des Bundesgesundheitsamtes in Berlin die Notwendigkeit der verstärkten epidemiologischen Forschung. Drei Forderungen für die epidemiologische Auseinandersetzung mit AIDS nannte auch der Göttinger Virologe Prof. Gerhard Hunsmann. Nach seiner Meinung kommt es einmal darauf an, zu wissen, wieviele Menschen hierzulande mit AIDS infiziert sind, wieviele die Vorstadien durchmachen und wie viele erkrankt sind. Ohne einer Meldepflicht das Wort reden zu wollen, betonte er: „Wir kommen ohne eine Erfassung dieser Daten überhaupt nicht aus.“

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