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P O R T R A I T Der Vater der islamischen Bombe

■ Der pakistanische Leiter des Atomforschungszentrums Kahuta, Abdul Quaseer Kahn, hat den Gerüchten von Islamabads Atombombe neue Nahrung gegeben

Von Uwe Hoering

Der Sprengsatz explodierte vorerst nur auf den Titelseiten der indischen und internationalen Presse: Pakistan ist im Besitz von Atombomben oder wird es in allerkürzester Zeit sein. Es war nicht irgend jemand, der diese Enthüllung machte, sondern der Leiter des pakistanischen Atomforschungszentrums Kahuta, Dr. Abdul Quaseer Kahn. Abrupt schlug die jahrelang von pakistanischen Atom–Politikern und -wissenschaftlern strapazierte Phrase von der ausschließlich friedlichen Nutzung der Kernenergie um in die Diktion der Abschreckungs–Strategen: „... und wir werden sie nutzen, wenn unsere Existenz bedroht ist.“ 1975 übernahm der damals 40jährige Dr. Khan die Leitung des pakistanischen Atomprogramms, das mit Volldampf und arabischem Geld vorangetrieben wurde, seitdem Erzfeind Indien ein Jahr zuvor in der Wüste von Rajastan unterirdisch eine Atombombe gezündet hatte. Kahn brachte die richtigen Qualifikationen mit für den neuen Job: In Berlin und Holland hatte er in den sechziger Jahren Metallurgie studiert und anschließend bei der Atomfirma Urenco im holländischen Almelo gearbeitet, einem holländisch–britisch–deutschen–Konsortium, das eine riesige Urananreicherungsanlage betreibt. Als er sich dort bei Nacht und Nebel absetzte, hatte er nicht nur Pilotanlagen von Zentrifugen zur Urananreicherung ausspioniert, sondern er nahm auch eine Liste von Lieferfirmen mit. In Holland besteht seitdem ein Haftbefehl gegen ihn. Der Londoner Oberserver nannte ihn den erfolgreichsten Atomspion, seit Klaus Fuchs und Allan Nunn ihre Geheimnisse dem Kreml überbrachten. Man darf davon ausgehen, daß Dr. Kahn einer der wichtigsten Drahtzieher der einfallsreichen und zumeist illegalen Winkelzüge war, mit denen sich Pakistan in den folgenden Jahren die Technologie für die Bombe über Strohmänner oder auf dem Schwarzmarkt zusammensammelte. In Pakistan machte ihn das zum Nationalhelden, für die indische Presse ist er eher ein „Dr. Mabuse der Bombe“. Sie charakterisiert den in Indien aufgewachsenen Muslim, der das Land 1952 verbittert verließ, als „Indienhasser“, der alles dem Ziel unterordnet, mit Indien auf atomarem Feld gleichzuziehen. Dr. Kahns Enthüllung wurde, wen wunderts, von den eigenen Leuten heftig dementiert. Besonders sauer waren sie, weil die USA gerade ein neues Hilfspaket für Pakistans Militär und Wirtschaft in Höhe von 4,2 Mrd. Dollar schnüren. Der große Bruder hat auf die immer deutlicher zutagetretenden Konturen von Dr. Khans Baby mit der Politik des blinden Auges reagiert, im Widerspruch zu einem 1977 verabschiedeten Gesetz, das Hilfe an Staaten verbietet, die Atomwaffen entwickeln. Bei Kampfgefährten, sei es gegen Nicaragua oder Afghanistan, heiligt der Zweck die Mittel. Dr. Kahn hat den Freunden in Washington sicher nichts Neues eröffnet, nur das Feigenblatt hat er ihnen runtergerissen, immerhin.

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