WAA–Urteile wie vom Fließband

■ Die Prozeßlawine gegen WAA–Gegner rollt: Nahezu 3.000 eingeleitete Verfahren - täglich mehrere Verhandlungen / „Bayerische Linie“ fordert Strafmaß mit Abschreckungseffekt / Aufblähung des Justizapparates / Absprachen unter Polizeizeugen und Behinderung der Verteidiger bestimmen den Prozeßalltag

Aus Schwandorf Wolfgang Gast

Besucher des Schwandorfer Amtsgerichts stehen erst einmal vor verschlossener Tür. Hinter dem Holzportal des Gebäudes wurde Ende letzten Jahres eine Art Windfang installiert. Rechts eine Scheibe zum Pförtner, geradeaus eine Tür, beide aus Panzerglas. Die Tür trägt einen Hinweis zum Klingeln. Vom Justizbeamten begutachtet, summt schließlich das elektrische Schloß und man darf passieren. Nicht nur die Handtaschen der Besucher werden durchsucht, sondern seit kurzem auch die Personalien der Zuschauer festgestellt. Die Scheiben im Gerichtssaal sind ebenfalls aus Panzerglas. Die Sicherheitslogik der WAA mit ihrem markanten Edelstahlzaun am Baugelände hat ihr Gegenstück im Gerichtsgebäude gefunden. 2.757 Prozesse wegen Widerstand, Nötigung, Landfriedensbruch und anderem hat die für die WAA zuständige Anwaltschaft in Amberg mittlerweile eingeleitet. Davon liegen derzeit 979 Akten unbearbeitet auf ihren Schreibtischen, weitere 1.000 Verfahren warten bei den zuständigen Gerichten. Die Anzahl der rechtskräftigen Urteile liegt bisher bei 160. Und bei den Strafbefehlen akzeptieren bislang weniger als 100 Betroffene die verhängte Geldstrafe. Der überwiegende Teil legte Beschwerde ein. Die Anzahl der Festnahmen rund um die WAA beziffert das Bayerische Justizministerium mit 3.470. Die Bürgerinitiativen halten dagegen, daß es nach ihrer Rechnung weit über 4.000 sein müßten. Mit einer beispiellosen Aufblähung des Apparates richtet sich die bayerische Justiz auf die anstehenden Verfahren gegen WAA–Gegner ein: Sieben neue Richter erhielt das Schwandorfer Amtsgericht, das mit einem Kostenaufwand von ca. 2 Millionen DM ausgebaut wurde. Eingedenk der Berufungsverfahren bekam auch das Amberger Landgericht gleich zweieinhalb neue Stellen bewilligt. Den personell größten Zuwachs kann jedoch die Anklagebehörde mit 13 neu berufenen Staatsanwälten für sich verbuchen. Die Richter und Staatsanwälte, die die WAA–Kammern besetzen, kommen in der Regel nicht aus der Oberpfalz. Im Rahmen ihrer Dienstverpflichtung könnten sie für ein Vierteljahr in die WAA– Region überstellt werden, doch die meisten kommen freiwillig und bleiben in der Regel ein halbes Jahr. Um ihre Karriere brauchen sie dabei nicht zu fürchten, wie beispielsweise Richter Geuder. In Nürnberg noch als Staatsanwalt mit Ermittlungen gegen das Anti– Atom–Magazin RadiAktiv beauftragt, wird er als Richter an das Amtsgericht Burglengenfeld geholt. Nach einem halben Jahr voller WAA–Prozesse kehrte er dann nach Nürnberg zurück und bekleidet dort seitdem das Amt eines Zivilrichters. Durchaus karrierefördernd wirkte sich auch für den Juristen Dr. Michael Lengenfeld die Versetzung nach Amberg aus: Er wurde kurzerhand vom Staatsanwalt zum Vorsitzenden Richter befördert. Seinem Ruf folgte wiederum der frühere stellvertretende Chef der Nürnberger Zivilkammer, Dieter Graefe. Mit ihm, dem Widerstand „jede Tätigkeit, die eine Amtshandlung erschwert“, bedeutet, ist die Stelle in den Augen der bayerischen Justiz ebenfalls optimal besetzt. Vertreter der Anklage sind auf Linie An die Unabhängigkeit der Juristen glaubt in der Oberpfalz keiner mehr so recht. Dienstanweisungen für die Staatsanwälte, ge schulte Polizeizeugen und „interne Verständigungen“ belegen eher, daß die „bayerische Linie ihren Weg in die Gerichtssäle gefunden hat. Die Vertreter der Anklage wurden mit einer ministeriellen Verfügung an die Leine gelegt. Danach dürfen sie künftig der Einstellung von Prozessen wegen Geringfügigkeit oder gegen Geldstrafe nur mit der ausdrücklichen Genehmigung ihrer Vorgesetzten zustimmen. Und sollte der dienstliche Draht einmal nicht funktionieren, so wird der Staatsanwalt vor dem Plädoyer einfach ausgetauscht, wie in Regensburg bei einem Prozeß gegen eine WAA– Gegnerin geschehen, die sich an den Bauzaun gekettet hatte. Was an Strafen gefordert wird, ist innerhalb der Anklagebehörden abgesprochen. Dieser Ansicht sind zumindest einige Rechtsanwälte, die als Verteidiger bei den WAA–Prozessen ihre einschlägigen Erfahrungen gemacht haben und nicht namentlich genannt werden möchten. Ihren Informationen zufolge hätte man sich bei den Prozessen rund um die Hüttendorfräumungen und dem Rodungsbeginn „intern verständigt“, daß Widerstandshandlungen, die weniger als eine Minute dauern, eingestellt bzw. mit einer Geldstrafe geahndet werden. In den übrigen Fällen komme es grundsätzlich zur Anklageerhebung. Für den dann folgenden Schuldspruch „wegen Widerstandes“ genüge bereits, sich gegen die eigene Festnahme passiv gewehrt zu haben. So wurde ein 26jähriger zu 200 DM Geldstrafe verurteilt, weil er sich bei seiner Verhaftung „steif gemacht und die Füße in den Boden gestemmt“ habe. Bezeugt wurden die „Widerstandshandlungen“ von Polizeibeamten. Widersprüche in ihren Aussagen, die Dauer und Intensität der zur Last gelegten Straftaten betreffen, hat die Justiz kurzerhand wegrationalisiert, indem nur noch ein Zeuge geladen wird. Geschulte Polizeizeugen Noch im vergangenen Jahr beklagte das bayerische Justizministerium, daß der erheblichen Anzahl eingeleiteter Verfahren keine nennenswerten Verurteilungen gegenüberstünden. Um dem Abhilfe zu schaffen begann man, die aussagenden Beamten zu schulen. So kursieren in den Dienststellen Beratungsbroschüren mit dem Titel „der Polizeizeuge“ und die vernehmenden Beamten werden zu ihrer Weiterbildung nach Amberg gefahren. Ein Präsidialbeschluß macht es den Polizisten vor Gericht zur Aufgabe, sich auf die Prozesse „optimal vorzubereiten“. In der Praxis sieht das so aus, daß die Beamten ihre Erinnerung durch das Lesen ihrer früheren Aussagen auffrischen und teil weise sogar mit den Unterlagen vor Gericht erscheinen. Die „authentische Erinnerung“, von der Strafprozeßordnung gefordert, bleibt dabei auf der Strecke. Daß es sich hier um einen Routinevorgang handelt, bestätigte Hundertschaftsführer Pischel. Bei einer Vernehmung vor Gericht gab er an, seine Männer hätten „die Pflicht, vor Prozeßbeginn ihre früheren Aussagen bei der Dienststelle einzusehen“. Das polizeiliche Aussageverhalten beschränkt sich allerdings nicht auf das reine Aktenstudium. Absprachen unter den Polizeizeugen sind an der Tagesordnung. Sei es, daß sie ihre Vernehmungsprotokolle gemeinsam schreiben, sich auf der Fahrt zur Vernehmung absprechen oder sich kurz vor Prozeßbeginn im Vorraum des Gerichts auf eine gemeinsame Linie einigen. Werden derartige Absprachen bekannt, hat das dennoch selten Konsequenzen. Den hohen Stellenwert, den die Glaubwürdigkeit aussagender Polizisten genießt, bewies Richterin Irmgard Schmidt im November letzten Jahres. In einem Beleidigungsprozeß stand den Angaben eines Polizisten die Aussagen dreier anderer Zeugen gegenüber. Wegen des Verdachts auf Falschaussage wurden die drei kurzerhand im Sitzungssaal festgenommen. Das Strafmaß in den Verhandlungen wird derzeit kräftig nach oben geschraubt. Im bisher längsten WAA–Prozeß fiel am 4. März nach acht Verhandlungstagen das bisher höchste Urteil. 17 Monate ohne Bewährung verhängte das Schwandorfer Amtsgericht gegen einen 29jährigen Zivildienstleistenden aus Regensburg. Er soll bei einem Sonntagsspaziergang im April letzten Jahres am WAA– Zaun Polizisten mit Steinen und Lehmbrocken beworfen haben. Ihre jüngste „Glanzleistung“ vollbrachte die Schwandorfer Justiz am Mittwoch dieser Woche: 10 Monate ohne Bewährung für das bloße Mitführen einer Schleuder und einiger Stahlkugeln ( die taz berichtete). Kommt es am Ende eines Prozesses zu einem Freispruch oder vergleichsweise mildem Urteil, dann gehen die Staatsanwälte grundsätzlich in Berufung. Mit immer härteren Strafen sollen die AKW–Gegner von ihren Aktivitäten abgehalten werden, resümieren denn auch die Mitarbeiter der Anti–WAA–Büros. Die Zauberformel der Justiz zur Verfolgung des Widerstands heißt „Generalprävention“ und sie kommt voll zum Zug, indem die Staatsanwälte mit Blick auf den „rechtstreuen Teil der Bevölkerung“ von vornherein 14 Monate ohne Bewährung für das bloße Mitführen einer Schleuder als Strafmaß ansetzen (wie geschehen am Mittwoch vor dem Schwandorfer Amtsgericht), oder sie bemühen die Anklageschrift, um in ihr noch vor Beginn der Beweisaufnahme eine Gefängnisstrafe zu fordern.