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I N T E R V I E W „Die Industrialisierung des Soziallebens“

■ Der maschinenlesbare Personalausweis feiert heute in der BRD seine Premiere / Interview mit dem Bremer Rechtsinformatiker Prof. Wilhelm Steinmüller

taz: Herr Steinmüller, was macht den neuen Personalausweis so gefährlich? Steinmüller: Der Ausweis für sich genommen ist nicht das Problem. Das Problem ist seine Infrastruktur. Der alte Ausweis enthielt eine Information, und die konnte man dort lesen: wie z.B. Name, Geburtsdatum, Adresse. Der neue Ausweis enthält zusätzlich eine Meta–Information. Er sagt: Über diese Person liegen die und die Datenbestände vor. Er ist das maschinentechnische Verbindungsstück vom Menschen zum Informationssystem der Datenbanken. Bei Grenz– oder Polizeikontrollen wurden aber auch mit dem alten Ausweis per Computer Anfragen an Datenbestände der Polizei vorgenommen. Ja, aber die neue Qualität liegt in der Verwaltungsautomation. Mit dem neuen Ausweis bekommt die Polizei zum ersten Mal ein Mittel in die Hand, bei jeder Person, die sie aufgreift, ihre Systemkonformität im Detail zu prüfen. Das konnte sie bisher nicht, weil es zulange gedauert hat. Jetzt geht es schnell und massenweise und die Masse macht die neue Qualität. Der Personalausweis ist ja auch nur ein kleiner Mosaikstein in einem ganzen Gebäude. Das Gebäude heißt nicht Überwachungsstaat, sondern Ameisenstaat. Die Überwachung ist dabei nur eine selbstverständliche Konsequenz. Es laufen jetzt Prozesse in nicht mehr menschendenkbaren Geschwindigkeiten ab, und gleichzeitig wird das ganze immer großräumiger, weil Computer Entfernungen beseitigen. Der Mensch tritt Gebilden gegenüber, die sein Raum– und Zeitvermögen überschreiten. Aber konkret bezogen auf den maschinenlesbaren Ausweis. Was ist daran neu? Die ganze linke Diskussion, was ist neu daran, geht daneben, weil die eigentliche Dimension nicht gesehen wird. Natürlich kann man sagen, daß sich genau wie mit der Volkszählung, wie mit den Sicherheitsgesetzen, auch mit dem maschinenlesbaren Ausweis die Maschenweite des Überwachungsnetzes Millimeter um Millimeter verringert. Aber entscheidend ist, daß damit eine Industrialisierung des Soziallebens eingeleitet wird. Wenn wir uns in eine Schlosserwerkstätte des Jahres 1830 hineinversetzen und im Zeitraffertempo die Schritte zur vollautomatisierten Walzstraße eines Stahlkonzerns nachvollziehen, dann hat sich bei jedem einzelnen Schritt auch nicht viel verändert: Es wurden mehrere Werkstätten zusammengelegt, dann gab es die Manufaktur, dann die Fabrik usw. Jedesmal hatte sich gegenüber der vorherigen Stufe nicht viel verändert und dennoch hat der Arbeitsprozeß eine neue Qualität erhalten, deren Gesetzmäßigkeiten wir erst langsam entdecken. Und genau wie die Fabrik imstande war, Millionen Menschen zu einem einzigen Arbeitsgang zu zwingen, wird in Zukunft geistige Arbeit organisiert sein. Und der neue Personalausweis ist ein Schitt beim Übergang zu einer industriemäßigen Organisation der Kopfarbeit und der Kommunikation. In dieser Riesenfabrik der geistigen Arbeit und der Machterhaltung ist der Bürger nur noch Datenspender. Ein ganz wichtiger Bereich wird jedoch per Gesetz an der automatischen Lesbarkeit der neuen Ausweise gehindert werden, die private Wirtschaft. Wie paßt das in dieses Bild der Industrialisierung unseres Soziallebens? Die Wirtschaft braucht den Ausweis nicht mehr. Sie hat die Chip–Karte, das ist eine Scheckkarte mit zwei Mikroprozessoren mit einer Speicherkapazität von bis zu 100 Seiten. Für alle Wirtschaftsbereiche wird es nur eine Chip–Karte geben, die zugleich bei Banken, Tankstellen, bei der Post oder beim Einkaufen als elektronisches Geld funktioniert. Man braucht dann praktisch kein Geld und keinen Werksausweis mehr. Im Vergleich zur Chip–Karte ist der neue Personalausweis ein anachronistisches Instrument. Das Gespräch führte Vera Gaserow

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