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Kein Papst für alle

■ Johannes Paul II besucht Chile

Kaum ein Staatsoberhaupt ist auf der Bühne internationaler Diplomatie so isoliert wie Pinochet. Vor wenigen Jahren noch hätte ein Auftritt des Papstes in Chile zweifellos das Image der Diktatur aufgewertet. Doch heute muß der General in Santiago just das Gegenteil befürchten. Die Chancen, daß die Opposition aus dem hohen Besuch mehr politisches Kapital schlägt als der Gastgeber, sind jedenfalls deutlich gestiegen. Während der Diktator von einem reinen Pastoralbesuch spricht, will die Opposition dem Papst das „wirkliche Chile“ zeigen. Hier aber spielt die Kirche heute eine viel größere Rolle als die oppositionellen Parteien. Politisch ist Chile in rechts, Mitte und links gespalten. Im „wirklichen“ Chile jedoch hat sich längst ein viel grundsätzlicherer Graben aufgetan. Er trennt zwischen oben, wo die Generäle und Politiker sitzen - die einen an der Macht, die anderen in den Startlöchern -, und unten, wo sich Elend und Perspektivlosigkeit, Verbrechen und Drogen ausbreiten. In diesem „wirklichen Chile“, unten in den Poblaciones, den Armenvierteln von Santiago, stellt die Kirche zweifellos die wichtigste soziale Organisation und moralische Instanz dar. Während die Bischöfe vor allem um den politischen Dialog und die nationale Aussöhnung besorgt sind, hat sich die Kirche in den Poblaciones kompromißlos auf die Seite der Armen gestellt. Der Preis: fünf ermordete Priester seit dem Putsch 1973 und über hundert in mehr oder weniger erzwungenem Exil. Auf dem sozialen Engagement der Kirche in den Armenvierteln beruht letztlich auch das politische Gewicht der Bischöfe. Wenn der Papst also ihre Position im politischen Dialog über einen friedlichen Übergang zur Demokratie stärken will, wird er in den Poblaciones Zeichen setzen müssen. Thomas Schmid

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