: „Neue Prächtigkeit“ verschönt Berlin
■ Kurz vor dem Eröffnungsfest zur 750–Jahr–Feier herrscht in der Stadt ein politischer Kulturkampf / Eine „heiter betonte Zugabe“ im Sitzungssaal zeigt Diepgen im Kreise seiner Hofschranzen / Ernst–Reuter–Büste wurde ausgelagert
Aus Berlin Mechthild Küpper
Eberhard Diepgen hat einen „Kunstschock“. Sein steuerzahlendes Volk auch. Dabei sollte alles so schön sein, wenn im 750. Jahr der Stadt Berlin „die Welt zu Gast“ weilt. Und nun ist doch wieder alles nur Provinz. Der schöne Kurfürstendamm, mit öffentlich geförderten restaurierten Gründerzeit–Fassaden, Blumenkübeln und Schnellimbissen gerade mühsam zum metropolitanen „Boulevard“ aufgeschickt, ist dem rechtschaffenen Bürger zum Ärgernis geworden, seit er „Skulpturenboulevard“ heißt und sich dort Mementos längst verdrängter Hausbesetzer–Demos und einbetonierte Cadillacs breitmachen. Der Steuerzahler fühlt sich von den Intellektuellen verscheißert. Was dem einen sein Kudamm, ist dem anderen sein Rathaus. Der politische Kulturkampf entbrannte um den „Goldenen Saal“. Nicht, weil die lachhaft sorgfältige Restaurierung des Sitzungssaales eine halbe Million kostet, ist er jetzt Zankapfel. Die teure Wiederherstellung des authentisch Drittklassigen, wie sie seit einem Jahr mit dem Rathaus Schöneberg betrieben wird, hat noch niemanden aufgeregt. Zum Ärgernis wurde ein Wandgemälde des Berliner Malers Matthias Köppel. Seit Weihnachten arbeitet der Vertreter der „Neuen Prächtigkeit“ - dem Hörensagen nach unter beständigem Augenzwinkern - daran, die Schmalseiten des neuen Senats–Sitzungssaales zu zieren. Über die eine Wand - Berliner Wasser, Kirche am anderen Ufer (Ost), verfettete Tagesspiegel–Leser im Badedress - verlor niemand ein böses Wort. Der bewölkte Himmel über dem Konferenztisch ging auch unkommentiert hin. Was Eberhard Diepgen schockierte und nun Debattenstoff liefert: Hinter dem hochlehnigen Stuhl des Regierungschefs hat der Maler Köppel die gesamte Diepgen–Truppe verewigt. Diep gen steht, das Hohlkreuz durchgedrückt, mit dem Programm der 750–Jahr–Feier in der Hand, vor dem Gropius–Bau an der Mauer. Sein Bausenator Wittwer schaut nach Westen, sich die Haare raufend. Er wird wohl an den Weißen Kreis denken, vor dessen Einführung es ihm graust. Ebenfalls abseits der Gruppe, lümmelt sich Innensenator Kewenig an einem Zaun. „Personenkult“ fürchtete der Zauderer Diepgen wenige Tage bevor die Konterfeiten ihre erste Senatssitzung im „Goldenen Saal“ abhielten. Das Bild sollte schleunigst übermalt werden. Doch hätte ihn das nicht als Zensor erscheinen lassen? Eine peinliche Situation. Nach erregtem Hin und Her entschied man sich, der Stimme der liberalen Toleranz zu folgen und dem Maler das Malen zu überlassen. Kaum war das entschieden, zeigte sich Berlin in voller Pracht eines Residenzstädtchens. Die „Neue Prächtigkeit“ des Matthias Köppel, sonst immer für ein scha denfroh–augenzwinkerndes Lachen gut, animierte kein Gelächter, sondern den Proporz. Diepgen im Kreise seiner Hofschranzen - dieser gelungene Witz der Kunst zum 750. Geburtstag der Stadt blieb ungewürdigt. Gequält humorvoll forderte auch die AL einen Platz auf dem Bild, mit alternativen Insignien wie Dienstfahrrad, Transparent und Kondom. Die Angst des Regieren den vor dem „Personenkult“ verschaffte auch drei prominenten Oppositionspolitikern Zugang auf das Fresko: Mit dem Wappentier der CDU, einem Dackel, an der Leine, erschienen nachträglich Harry Ristock, Alexander Longolius und Walter Momper in der Mitte der Mauer–Wüstenei. Die AL wird von einem rasenden Igel repräsentiert, der den Füßen des Bürgermeisters entfleucht. Den Mercedes–Dienstwagen dicht an der Mauer geparkt, lungern am Rande auch Parlamentspräsident Peter Rebsch (CDU) und der Chef der Senatskanzlei. So geht das mit der „Neuen Prächtigkeit“ im Rathaus. Die „heiter betonte Zugabe“ des Malers zum 150.000–Mark–Auftrag im neuen Sitzungssaal soll, so die neue Sprachregelung, nichts als „eitel Freude“ ausgelöst haben. Die Eitelkeit ist unbestritten, doch Freude kommt nicht auf. Unter neuaufgelegtem Blattgold, mit dem Duodez–Hofstaat Diepgens im Hintergrund, wird Politik kaum prächtiger ausfallen al Abrißbirne im Anschlag. Einer muß sich über all das nicht mehr ärgern: die Büste des Sozialdemokraten Ernst Reuter, des ersten gewählten Bürgermeisters nach dem Kriege, mußte der „Neuen Prächtigkeit“ weichen. Sein Kopf steht jetzt in der zugigen Eingangshalle, gleich hinter dem Pförtnerhäuschen: „Schaut auf diese Stadt!“
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