„Keine Reise des Vergebens“

■ Der erste Besuch eines israelischen Staatspräsidenten in der BRD soll aus israelischer Sicht nicht als Schlußstrich in der Auseinandersetzung mit der deutschen Vergangenheit mißverstanden werden

Für Chaim Herzog ist der erste Besuch eines israelischen Präsidenten in der Bundesrepublik „keine Reise des Vergebens und Vergessens“. Vor dem Antritt des Staatsbesuchs, der ihn zunächst in die Schweiz geführt hatte, formulierte Herzog in einer kurzen Ansprache, welche Bedeutung er seinem Besuch beimißt: „Die Beziehungen zwischen Israel und der Bundesrepublik sind noch immer belastet durch Erinnerungen, die nichts auslöschen kann, und dies werde ich während meiner Reise betonen. Ich sehe jedoch meinen offiziellen Besuch auf deutschem Boden als Repräsentant eines unabhängigen und souveränen Staates Israel, der mit allen seinem Rang zukommenden Ehren empfangen wird, als Symbol des Sieges der Opfer des Holocausts über ihre Henker. Meine Deutschlandreise wird der offenkundige Beweis des Scheiterns der Nazis sein, die unser Volk von der Erde tilgen wollten.“ In einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung bedauerte Herzog, daß es in der Bundesrepublik im letzten Jahr einen Trend gab, einen Strich unter die Vergangenheit zu ziehen. Keine „normalen“ Beziehungen „So denke ich nicht“, bekräftigte er ausdrücklich, „vielmehr ist es unser Bestreben, den (nachgeborenen) Generationen zu erklären, was in der Vergangenheit geschehen ist.“ Zwar befürwortet Herzog normale diplomatische Beziehungen zur Bundesrepublik, aber daß die Verhältnisse zwischen den Menschen normal sind, „daß man in dieser Beziehung das Adjektiv normal benutzen kann, glaube ich nicht“. Dies drückt sich auch im Besuchsprogramm des Gastes aus: Nach politischen Gesprächen in Bonn mit Bundespräsident Weizsäcker, Bundeskanzler Kohl, Außenminister Genscher und anderen führenden Politikern wird Herzog das ehemalige Konzentrationslager Bergen–Belsen aufsuchen. Auf dem Programm steht ferner ein Besuch der ehemals größten jüdischen Gemeinde in Worms. Am Donnerstag wird Herzog schließlich in Berlin, dem Zentrum der nationalsozialistischen Herrschaft, mit dem Direktorium des Zentralrates der Juden in Deutschland sprechen. Er wird dort auch die Gedenkstätte Plötzensee für die Opfer des antifaschistischen Widerstandes aufsuchen. Im Zentrum der politischen Gespräche Herzogs in Bonn werden die Lage im Nahen Osten sowie die Ost–West–Beziehungen und deren Auswirkungen stehen. Gegenstand der Gespräche wird vor allem auch der ursprünglich von der Sowjetunion unterbreitete Vorschlag einer internationalen Nahost–Friedenskonferenz sein. Während die israelische Koalitionsregierung in dieser Frage gespalten ist, unterstützt die Bundesregierung im Rahmen der Europäischen Gemeinschaft eine solche Konferenz. In einer jüngst veröffentlichten EG–Erklärung zu diesem Thema wird jedoch eine mögliche Rolle der Palästinensischen Befreiungsorganisation PLO deutlich heruntergespielt und statt dessen hervorgehoben, die Palästinenser müßten selbst über ihre Vertretung entscheiden. Dies wurde in Israel mit Befriedigung registriert. Bei dem Vorschlag einer Nahost–Konferenz geht es letztlich um die Zukunft der seit 1967 von Israel besetzten Gebiete, der Westbank und des Gaza–Streifens. In diesem Jahr ist die Bonner Hilfe für die palästinensische Bevölkerung in den besetzten Gebieten um rund zwanzig Prozent auf 40 Millionen Mark aufgestockt worden. Dies geht auf ein Vorhaben des jordanischen Königs Hussein zur „Verbesserung der Lebensbedingungen“ in den besetzten gebieten zurück. Zukunft der Palästinenser Politisch zielt diese Initiative darauf ab, die PLO zu schwächen und den pro–jordanischen Flügel zu stärken, dessen Vertreter dann als „authentische Vertreter“ aus den besetzten Gebieten anstelle der PLO in eine internationale Konferenz geschickt werden könnten. Eine Politik, die auch auf israelische Zustimmung stößt. So wird es im zwanzigsten Jahr der Besatzung bei Herzogs Gesprächen in Bonn auch um die Zukunft der Palästinenser unter israelischer Herrschaft gehen. Doch trotz früheren politischen Differenzen in der Palästinenserfrage zwischen der Regierung in Jerusalem und Bonn sind die zwischenstaatlichen Beziehungen im Alltag geprägt von einem regen Austausch auf wirtschaftlicher, kultureller und touristischer Ebene. Daran haben auch bundesdeutsche Peinlichkeiten wie das Kohl–Wort von der „Gnade der späten Geburt“, sein gemeinsamer Besuch mit Reagan auf dem Soldatenfriedhof Bittburg, die Kontroverse um das Fassbinder– Stück „Die Stadt, der Müll und der Tod“ oder Waffenlieferungen an arabische Staaten bislang nichts geändert. bs