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Infas: Hessenwahl ohne Parallele

■ Zum ersten Mal gelang es einer Bonner Regierungskoalition, während ihrer Amtszeit in einem Landesparlament von der Opposition zur Regierung zu wechseln / Trend zu kleineren Parteien hält an

Bonn (dpa) - Was in Hessen geschah, ist ohne Parallele: Zum allerersten Mal ist es einer Bonner Regierungskoalition gelungen, während ihrer Amtszeit in einem Landesparlament von der Oppositions– zur Regierungsbank zu wechseln. Daß dies im SPD– Stammland Hessen geschehen konnte, bei einer für die Wiesbadener Regierung günstigen Themenkonstellation und Grundstimmung, kennzeichnet die prekäre Situation der Sozialdemokratie. Mit dem zweiten Rang hat sich die SPD in Hessen bei Landtagswahlen schon dreimal begnügen müssen (1974, 1978 und 1982). Aber so nahe an der 40–Prozent– Schwelle war sie noch nie gewesen, und volle sechs Prozentpunkte hat sie in diesem Land noch nie verloren. Wenige Wochen nach der Bundestagswahl haben sich die Kräfteverhältnisse im Land Hessen leicht verschoben. Die SPD legte im Vergleich dazu 1,5 Punkte zu, die CDU 0,8 Punkte. Die Liberalen verloren - 1,3 und die Grünen kamen exakt auf den gleichen Anteil. Es sind vor allem drei Richtungen, in denen die SPD–Verluste zu suchen sind: Abwanderungen zu den Grünen, Abwanderungen zur CDU sowie Wahlenthaltungen. Nach der infas–Wanderungsbilanz kommt diesen drei Verlustquellen etwa gleich große Bedeutung zu. Die Wahlbeteiligung lag diesmal bei knapp über 80 Prozent, rund drei Punkte unter der von 1983, sechs Punkte unter der von 1982. Was immer die Ursachen im einzelnen waren: Die stärkere Enthaltung traf in erster Linie die SPD (negativer Saldo von etwa 70.000). Etwa 65.000 Wähler verbuchten die Grünen im Aus tausch innerhalb des Regierungslagers für sich. Weitere knapp 80.000 gingen der SPD diesmal im Austausch mit der CDU verloren, wechselten also das politische „Lager“. Mehr Bewegung im Süden Insgesamt konnte die CDU diesmal in 29 der 55 Wahlkreise die Mehrheit erringen, zu den 13 Direktmandaten der vorigen Wahl kamen weitere 16 hinzu. Auf der Gewinnliste stehen unter anderem vier Frankfurter Wahlkreise, Hanau, Offenbach, Dieburg, Bergstraße, Marburg, Weilburg. Zu den 26 Wahlkreisen, in denen sich die SPD weiter behaupten konnte, gehören sämtliche nordhessischen Kreise, ferner der größere Teil von Mittelhessen (Biedenkopf, Lahn–Dill, Wetzlar, Gießen, Vogelsberg), zwei Wiesbadener Kreise sowie der Raum Groß–Gerau, Darmstadt, Odenwald. Die Mandatswechsel trafen auch Prominente aus der SPD– Führung, die Minister Görlach, Clauss und Vera Rüdiger. Der Spitzenkandidat der SPD, Hans Krollmann, behauptet in Kassel– Stadt sein Mandat mit einem etwas überdurchschnittlichen Verlust. Die Analyse der Stimmenentwicklung in den einzelnen Regio nen hat deutlich gemacht, daß die Verluste der SPD unter zweifacher Perspektive zu sehen sind. Einerseits handelt es sich um aktuelle Einflußfaktoren. Hier durfte der Wechsel der führenden Personen in Land und Bund, aber auch die mangelnde Eindeutigkeit in vielen Sachpositionen eine Rolle gespielt haben. Insofern läßt sich das Votum dieser vorgezogenen Neuwahl als Quittung für die Querelen in der Bundespartei und für die Ungereimtheiten der Landespolitik verbuchen. Schwächen dieser Art machen sich in allen Landesteilen bemerkbar und kennzeichnen den Gesamttrend. Andererseits hat die SPD seit längerem und auch bei dieser Wahl mit langfristigen und eher strukturellen Problemen zu kämpfen, die in einer Umschichtung der Wählerbasis und einer Veränderung gesellschaftlicher Leitbilder und Verhaltensmuster ihren Ausdruck finden. Hierzu gehört auch das strategische Dilemma im Verhältnis zu den Grünen, das die Sozialdemokraten in Hessen allerdings mit ihrem Bekenntnis zu einer rot–grünen Koalition richtungsweisend beantwortet hatten. Bei dieser Neuorientierung hat die SPD besonders in den verstädterten Gebieten mit einer stark mobilen Bevölkerung Irritation ausgelöst, was dort zu überdurchschnittlichen Verlusten in der Vergangenheit geführt hat. Daß diese Verluste in beide Richtungen gehen, hat sich in den letzten Jahren wiederholt gezeigt, etwa in Berlin, Hamburg oder München. Bei der Hessen–Wahl fällt besonders ins Gewicht, daß ein solches Abbröckeln an den Rändern über den Ballungsraum Frankfurt hinaus im ganzen Lande zu registrieren war und daß diese Erosion nicht durch einen generellen Oppositionseffekt gegenüber der Bonner Regierungsmehrheit, wie früher bei Landtagswahlen üblich, kompensiert wurde. Trotz der weitreichenden Folgen sind viele einzelne Ursachen und Bewegungen bei dieser Wahl für sich genommen nicht außergewöhnlich, weder in ihren Größenordnungen noch in ihrer Struktur. Der Trend zu den kleineren Parteien, also zur Stabilisierung des Vier–Parteiensystems, der die letzte Bundestagswahl kennzeichnete, hat sich fortgesetzt: Nicht nur die SPD, auch die CDU ist weit unter ihren guten Ergebnissen der Jahre zwischen 1974 und 1982 geblieben.

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