DDR - das Paradies für Energie–Reformer

■ Umweltgutachten sieht riesige Potentiale für Energie–Einsparung und umweltfreundliche Technologien / Ausstieg ist machbar, Herr Nachbar!

Von Manfred Kriener

Die DDR ist ein wahres Paradies. Für Energie–Sparkonzepte und Investitionen im Umweltschutz bieten sich traumhafte Bedingungen. In keinem anderen Industrieland gibt es soviel zu tun. Im Energieverbrauch pro Kopf (doppelt so hoch wie Japan) und in der Energieverschwendung steht der deutsche Nachbar an der Spitze aller Industrienationen. Dies geht aus einer Studie des Instituts für ökologische Wirtschaftsforschung (IÖW) hervor, die die Wissenschaftler jetzt für die Berliner Alternative Liste vorgelegt haben. Ihr Thema: Die Möglichkeiten alternativer Energiepolitik in der DDR. Das IÖW stellt fest: Ein Ausstieg aus der Atomenergie wäre in der DDR in den neunziger Jahren leicht machbar. Die Autoren der Studie (Jänicke, Mez, Pöschk, Schöne, Schwilling) analysierten die DDR–Energiepolitik mit geschärftem Blick für die Auswirkungen auf West–Berlin. Neben der Luftverschmutzung ist die Mauerstadt vor allem durch die Atomkraftwerke aus Deutschland–Ost bedroht: „Die fünf DDR– Reaktoren stoßen im Normalbetrieb dreimal mehr radioaktive Komponenten aus als alle Reaktoren in der Bundesrepublik zusammen. (...) Das AKW Stendal ist für West–Berlin deshalb besonders bedrohlich, weil es knapp 80 km Luftlinie von der Stadtgrenze entfernt liegt. Käme es dort zu einem Super–Gau, wäre die Lebensfähigkeit der Stadt ernsthaft in Frage gestellt. Die Unmöglichkeit einer kurzfristigen Evakuierung großer Teile der Bevölkerung in westliche Richtungen ist dabei ein besonders delikates Problem.“ Trotz der Direktiven des 11. Parteitags zur Erweiterung des AKW–Komplexes Greifswald und der Inbetriebnahme von Stendal für 1991 sehen die Autoren eine eher skeptische Atompolitik der DDR und eine durch Tschernobyl ausgelöste neue Nachdenklichkeit: „Für Horst Sindermann ist die Kerntechnik zu teuer, Erich Honecker hält Kernkraft nicht für das letzte Wort. Als eines der wasserärmsten Länder hat die DDR ohnehin objektive Grenzen, die notwendigen Kühlwassermengen für Atomkraftwerke bereitzustel len. Die Lieferung westlicher Kerntechnik löst diese Probleme nicht und sowjetische Druckwasserreaktoren werden durch den Einbau weiterer Sicherheitskomponenten nicht risikolos, sondern nur noch teurer. Die Kernkraft– Lobby in der DDR hat einen schweren Stand bekommen.“ Deshalb setze die DDR verstärkt auf Braunkohle. Doch die derzeit praktizierte Braunkohleverbrennung ist vor allem eines: ökologisch und ökonomisch ruinös. Die alten Dreckschleudern der DDR würden mit einem extrem niedrigen Wirkungsgrad betrieben, der durch den Bau moderner Anlagen nahezu verdoppelt werden könnte. Die Braunkohle– Einsparung durch Kraftwerksmodernisierung „macht primärenergieseitig 60 Mio Tonnen Rohbraunkohle jährlich aus“. Vier Fünftel der eingesetzten Kohle würden in die Luft geblasen, anstatt damit Strom zu erzeugen. Sechs Milliarden Mark jährlich ließen sich an Brennstoffkosten durch eine Kraftwerksmodernisierung einsparen. Auch jenseits der Großkraftwerke entdeckten die Berliner Forscher große Einspar–Potentiale: - Durch die schrittweise Einführung effektiverer Haushaltsgeräte könne die DDR bis zum Jahr 2000 rund 1.000 Megawatt Kraftwerksleistung (das entspricht ei nem großen AKW–Block) einsparen - Durch bessere elektrische Antriebe in der Industrie ließen sich 2.200 Megawatt einsparen, mehr als die derzeit in der DDR installierte Atomenergie. - Die Umrüstung aller Heizwerke der DDR auf Wärme–Kraft– Koppelung würde Stromerzeugungskapazitäten von 1.600 Megawatt erübrigen. Mit diesen großen Spareffekten und einer Modernisierung des Kraftwerksparks könnte die Energieversorgung der DDR nach Ansicht der Autoren mit einer geringeren Kraftwerkskapazität und gleichzeitigem Ausstieg aus der Atomenergie gesichert werden. „Durch höhere Auslastung der Kraftwerke läßt sich mit leicht verringerter Kapazität die Stromerzeugung sogar noch steigern.“ Ähnlich einschneidende Effekte wie bei der Energie–Einsparung erkennen die IÖW–Wissenschaftler beim Umweltschutz. Der Dreck aus Kraft– und Heizwerken, die Emissionen, die den winterlichen Smog produzieren, ließen sich mithilfe moderner Techniken (Rauchgasreinigung) „von heute 3 Millionen Tonnen Schwefeldioxid auf rund 130.000 Tonnen (mehr als 95 Stickoxid auf etwa 64.000 Tonnen (fast 85 Aber wie kann die DDR diese Modernisierung und ökologische Umrüstung finanzieren? Auch darauf versucht die Studie Antwort zu geben. „Die Reduzierung des Braunkohleverbrauchs der Kraftwerke um jährlich 60 Millionen Tonnen auf dem Wege der Modernisierung veralteter Anlagen würde nach westlichen Maßstäben insgesamt 18 Milliarden DM kosten.“ Daraus berechneten die IÖW–Autoren - verteilt auf zehn Jahre - jährliche Investitionskosten von 1,8 Mrd DM für Modernisierung und 2,2 Mrd DM für Entschwefelung und Entstickung. Fazit: Die DDR könne eine ökologische Modernisierung sehr wohl selbst finanzieren, zumal sich diese Investitionen langfristig durch Energie–Einsparungen amortisieren. Hilfen bei der Vorfinanzierung aus Berlin und der BRD seien allerdings sinnvoll und notwendig. Die Lieferung schlüsselfertiger Anlagen sei dabei das falsche Konzept, denn die DDR sei kein Entwicklungsland. Sie könne heute z.B. 70 Doch mithilfe von Finanzhilfen und Krediten für die DDR könnte Berlin den Stein ins Rollen bringen: Würden etwa die 2,5 Milliarden Mark, die die BEWAG in Westberlin für Umweltmaßnahmen investiert, zur Modernisierung von DDR–Kraftwerken verwendet, wäre der Entlastungeffekt mehr als 20 mal größer. 750.000 Tonnen weniger Schwefeldioxid würden dann die Kraftwerke Boxberg und Jänschwalde ausspucken, die BEWAG–Investitionen in Berlin würden dagegen nur einen Gewinn von 34.000 Tonnen bringen.