Demjanjuk–Prozeß in entscheidender Phase

■ Nach Aussagen des Berliner Historikers Wolfgang Scheffler wie auch der Hamburger Staatsanwältin Helge Grabitz ist das im Prozeß entscheidende SS–Ausweispapier echt / Verteidigung des mutmaßlichen Kriegsverbrechers sieht Ausweis als Fälschung der UdSSR an

Aus Tel Aviv Amos Wollin

Der Prozeß gegen den mutmaßlichen Kriegsverbrecher John Demjanjuk ist in eine entscheidende Phase getreten. Zwei bundesdeutsche Experten haben die Echtheit des von sowjetischen Behörden zur Verfügung gestellten Ausweises von Demjanjuk bestätigt, der von der Verwaltung des SS–Ausbildungslagers Trawniki für ukrainische Kriegsgefangene ausgestellt worden war. Die Staatsanwaltschaft wirft dem Angeklagten vor, dort für seinen späteren Dienst im Vernichtungslager Treblinka vorbereitet worden zu sein, wo er an der Ermordung von Hunderttausenden von Juden beteiligt gewesen sei. Am Dienstag sagte der Berliner Historiker Wolfgang Scheffler vor dem Gericht in Jerusalem aus, seiner Begutachtung nach sei der Ausweis echt. International anerkannte Experten prüfen jetzt das Dokument. Mit dem Ergebnis ihrer Untersuchung wird erst in einigen Tagen gerechnet. Der Ausweis spielt eine entscheidende Rolle in dem seit acht Wochen andauernden Verfahren. Der Angeklagte bestreitet, mit dem berüchtigten „Iwan dem Schrecklichen“ identisch zu sein. Es war bislang zentrales Argument der Verteidigung, der sowjetische Geheimdienst habe den Ausweis Demjanjuks samt Foto gefälscht, um ihrem Klienten einen Strick zu drehen. Dieses Argument ist bereits durch die Aussage der Hamburger Staatsanwältin Helge Grabitz in der letzten Woche ernstlich ins Wanken geraten. Grabitz kennt sich auf dem Prozeß–Terrain gut aus, denn sie hat ein langwieriges Verfahren gegen den Lagerkommandanten von Trawniki, Karl Streibl, geführt. Sie blickt auf eine zwanzigjährige Erfahrung in Kriegsverbrecher–Prozessen zurück und besitzt detaillierte Kenntnisse speziell auf dem Gebiet der Untersuchung der Rolle ukrainischer Faschisten im Dienste der SS. Die Staatsanwältin gab in ihrer Aussage zwar an, der Name Demjanjuk sei im Verfahren gegen Lagerkommandant Streibl nie gefallen und werde auch in den Dokumenten des Lagers nicht erwähnt. Die Unterschrift Streibls auf Demjanjuks Ausweis konnte sie jedoch ohne weiteres identifizieren. Sie leistete auch einen wichtigen Beitrag zur Erklärung der für die Verteidigung wichtigen Diskrepanz zwischen der tatsächlichen Größe Demjanjuks (1,80 m) und den Angaben im Ausweis (1,75 m). Dieser Unterschied von fünf Zentimetern hat es bisher der Staatsanwaltschaft erschwert, den umstrittenen Ausweis als Beweis der Identität des Angeklagten anzuerkennen. Der Größenunterschied sei eventuell dadurch zu erklären, daß diejenigen, die für die SS–Ausbildung in Trawniki ausgewählt wurden, häufig nicht gemessen wurden. Notiert worden seien die nicht notwendigerweise exakten eigenen Angaben der Rekrutierten. Aufgrund ihrer langjährigen Erfahrung mit sowjetischen Gerichten und Dokumenten konnte Grabitz aussagen, daß ihr Fälschungen der sowjetischen Behörden nie untergekommen seien. Zwar gab sie zu, keine Erfahrungen mit Trawniki–Dienstausweisen der Art zu haben, wie sie dem Gericht in Jerusalem vorliegen. Sie stellte jedoch eindeutig fest, daß es sich nicht um ein „gefälschtes sowjetisches Dokument“ handelt: Der Trawniki–Dienstausweis wurde nicht von den sowjetischen Behörden, sondern von der deutschen Reichswehr ausgestellt. Des weiteren konnte sie bestätigen, daß die Person auf dem Foto des Ausweises eine Dienstuniform trägt, wie sie im Jahre 1942 geliefert wurde. Wie der deutsche Historiker ist auch die Staatsanwältin persönlich davon überzeugt, daß es sich bei dem Ausweis um ein authentisches Nazi–Dokument handelt. „Ihr könnt mich nicht zwingen, auszusagen, daß hier gefälschte Dokumente vorliegen“, entgegnete sie den Verteidigern des Angeklagten. Der Gerichtssaal bleibt gerade in dieser entscheidenden Prozeßphase fast leer. Das Publikum zeigt weniger Interesse an der juristischen Beweisführung als an den dramatischen Schilderungen der Überlebenden aus Treblinka.