piwik no script img

Der taz–Strahlenkompaß

Wer erinnert sich nicht an den bayerischen Umweltminister Dick, der vor surrenden Kameras strahlenverseuchtes Molkepulver löffelte. „Nur weiter so“, wird mancher gedacht haben, „das sind genau die Männer, die wir brauchen“. Es ist sicher kein Zufall, daß Herr Dick in seinem Äußeren weitgehend den Personen der Normalbevölkerung entspricht, von denen in der „Strahlenschutzverordnung 1976“ die Rede ist: männlich, gesund, 80 Kilo schwer, mittleren Alters. Schwangere, Stillende, Kranke wurden dabei nicht berücksichtigt. Mehr als 20.000 Becquerel pro Jahr für den ganzen Norm– Körper sollten nicht aufgenommen werden, meinten die Experten 1976. Den Maximalwert für Kleinkinder legten sie in den Durchführungsbestimmungen auf 5.000 Becquerel jährlich fest. Daraus ergibt sich, daß ein Norm– Erwachsener pro Tag 50–60 Bec querel pro Kilo Nahrung zu sich nehmen darf, ein Norm–Kleinkind (10 kg schwer, Milchernährung) 10–20 Becquerel. Wenn ein Liter Milch mit 60 Bq belastet ist, so hätte ein Norm–Erwachsener, sollte er diesen Liter trinken, damit seine tägliche gesetzlich zulässige Dosis geschluckt. Für ein Kind würde demnach schon eine Tasse reichen. Mit diesen Werten ist keineswegs eine Unschädlichkeitsgrenze festgelegt. Schließlich war auch das Strahlenschutzgesetz von 1976 nur ein Kompromiß zwischen Gesundheit der Bevölkerung und der Atomindustrie. Wäre nach Tschernobyl nach diesen gesetzlichen Richtlinien gehandelt worden, hätte ein großer Teil der Ernten vernichtet werden müssen. Dazu war diese Regierung nicht bereit. „Die Ware“, so Minister Wallmann, „muß verkehrsfähig sein“. „Entgegen dem Strahlenschutzgesetz wurden die zehn Mal höheren EG–Werte übernommen. Glatter Gesetzesbruch. Mit der bevorstehenden Novellierung des Strahlenschutzgesetzes werden die Grenzwerte den GAU–Auswirkungen angepaßt. Wer nichts von gaugerechten Grenzwerten hält und die Gefahren radioaktiver Niedrigstrahlung ernst nimmt, wer dazu noch Kleinkinder hat, ist auf die Informationen der Meßstellen angewiesen. Da bei geschlossenem Cäsium– Kreislauf die Belastung der Nahrungsmittel auch langfristig ein Problem bleiben wird, hat sich die taz entschlossen, die Meßwerte von Lebensmitteln als einkaufsgerechte Information unter der Rubrik „Strahlenkompaß“ täglich zu veröffentlichen. Wir entnehmen die Daten dem Rundbrief der Arbeitsgemeinschaft ökologischer Forschungsinstitute (AGÖF), der alle vier Wochen erscheint. Darin sind die Meßwerte von 30 Meßstellen zusammengetragen. gt.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen