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„Der Natur auf die Sprünge helfen“

■ Biotechnologie soll land– und forstwirtschaftliche Erzeugnisse industriegerecht aufmöbeln / Riesenhubers 100–Millionen–Programm fördert den Machbarkeitswahn genmanipulativer Sandkastenspieler

Bonn (ap/taz) - Die industrielle Verwertung von nachwachsenden Rohstoffen (sprich: landwirtschaftlichen Erzeugnissen) wird immer heftiger als Rettung aus der Agrarkrise propagiert. Angesichts der erdrückenden Überproduktion von Lebensmitteln in der EG soll, so Forschungsminister Riesenhuber in einem Gespräch mit Associated Press, den deutschen Bauern mit einem speziellen Forschungsprogramm auf der Suche nach neuen Produkten und Märkten geholfen werden. Die „Pflanze nach Maß“ als Industrierohstoff könne Überschußprobleme der Landwirtschaft entschärfen und „einem Teil unserer Bauern die Existenz sichern helfen“, sagte der Minister. Er kündigte an, zur Erforschung dieser Möglichkeiten bis 1991 mehr als 100 Millionen Mark bereitzustellen. Das Programm soll Anstöße geben für die biologische Züchtung vor allem von öl– und stärkehaltigen Pflanzen für die Industrie, sowie von schnell wachsenden Forstpflanzen. Im Fall des Rohstoffs Holz soll mithilfe von Methoden aus der modernen Pflanzenzüchtung, so eine Veröffentlichung aus dem Hause Riesenhu ber, „eine technisch vielseitig verwertbare Baumart entwickelt werden, die große Holzmassen erbringt und Licht, Wasser und Nährstoffe besser ausnutzt“. Züchtung und Klonung könnten „innerhalb von wenigen Jahrzehnten“ um zwanzig Prozent höhere Erträge bringen. Gefragt sind schnellwachsende Baumarten wie Pappeln, Weiden und Aspen, die bis zu fünfmal mehr „Trockensubstanz je Jahr und Hektar“ abwerfen als herkömmliche Waldbäume. Aber auch die klassischen landwirtschaftlichen Produkte wie Getreide, Kartoffeln oder andere Feldfrüchte sollen züchterisch verbessert werden, um für industrielle Zwecke Verwendung zu finden. Zwischen Wissenschaft, Wirtschaft und Landwirtschaft gibt es laut Riesenhuber einen breiten Konsens über realistische Alternativen zur heutigen Lebensmittelproduktion in der Landwirtschaft: Stärke, Zucker, Öle und Fette in der richtigen Zusammensetzung und Qualität aus Industriepflanzen könnten ein breites Anwendungsfeld finden. Demgegenüber dürfte die unter dem Stichwort „Sprit aus Rüben“ diskutierte Gewinnung von Alkohol und Treibstoffen aus Agrarpflanzen auf absehbare Zeit keine wirtschaftliche Bedeutung erlangen. Im einzelnen geht es nach Darstellung Riesenhubers in dem neuen Programm darum, mit Hilfe biotechnischer Methoden wie Zellkultur– und Gentechnik Pflanzen genau so zu züchten, wie sie die Industrie benötigt. So gehe es bei Ölpflanzen um Produkte mit kürzeren Kohlenstoff–Kettenlängen. Auch Stärkepflanzen müßten industriegerecht und ausreichend ertragreich sein. Die Zellstoffindustrie brauche Forstpflanzen, die bei kurzen Wachstumszeiten längere Zellulose–Fasern liefern. Als weiteres Ziel nannte der Minister die Erhöhung der Energieausbeute bei der Photosynthese der Pflanzen. So setze mitteleuropäischer Wald nur 0,1 Prozent des Sonnenlichts in Biomasse um. „Wenn wir hier der Natur ein bißchen auf die Sprünge helfen, würden wir ein kaum abschätzbares Potential an Biomasse als Energie– oder Industrierohstoff erschließen“, betonte Riesenhuber.

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