: JOCHEN STEFFEN schreibt für die taz Standortpolitik
Also, zu seinem stückweisen Abschied von der Politik kriegt der Willy Brandt als Abschiedsgeschenk den einst geforderten „blauen Himmel über der Ruhr“. Ebenfalls stückweise. Zechen, Kokereien, Stahlproduktion werden peu a peu stillgelegt, bis auf einen ökologisch unbedenklichen Restbestand. So kommt man zu einem blauen Himmel mit finsterem Sozialhorizont. Von der Maloche zur Firma Stempelmann und Söhne. Von der Arbeitslosenunterstützung zur Sozialhilfe. Zur Zeit geht es nicht um Umstrukturierung der Produktion - meist mit „Freisetzungen“ verbunden - oder deren „Straffung“ - ebenfalls mit dem Verlust von Arbeitsplätzen zu bezahlen -, sondern um die Stillegung von Standorten der Stahlproduktion. Das ist der soziale Kahlschlag. Es droht die Verödung von Regionen. Zulieferer, Weiterverarbeiter, Schuster, Schneider, Einzelhandel, Kneipe... alle hängen dran. Menschen und ihre Schicksale. Von bemerkenswerter Unredlichkeit ist der politische Protestreigen der Politiker und Interessenvertreter. Von der IG Metall, die „es nicht hinnehmen will“, bis zu den Erhaltern der Standorte. Das ist warme Luft bis schlichter Schwindel. Wer die Standorte erhalten will, muß sagen, wo dann weniger Stahl produziert werden soll. Da wäre es allemal vernünftiger, die unbegrenzte, volle Lohnfortzahlung im Stillegungsfall zu fordern. Das ersparte wenigstens die Kosten der Stahlüberschüsse. Wäre man ehrlich, müßte es heißen: „Das haben wir längst gewußt.“ Ein Konzern legt einen Standort nicht Knall auf Fall still. Dem liegt ein zumindest mittelfristiger Plan zugrunde. Er ist vor dem Wirtschaftsministerium des Landes nicht geheim zu halten. Schließlich arbeitet man seit Jahren zusammen, um staatliche Vergünstigungen oder Subventionen zu ergattern und zu verfrühstücken. Und die Gewerkschaften sitzen in der Montan–Mitbestimmung. Sie wurden auch erst verbal aktiv, als an der vielmanipulierten Basis das Rumoren begann. In der Sache steht fest: Erstens, die Stahlstandorte sind den Bach runter. Zweitens, der Streit geht darum, ob eine „soziale Abfederung“ stattfinden soll - Unterfrage: Wer zahlt wieviel? Die Wirtschaft lädt zur Sozialisierung der Verluste ein - oder ob man am Grabe neue Beschäftigungshoffnung aufpflanzen will. Auch hier geht es ums Geld, darum wer es zahlt, aber vor allem um neue (Entwicklungs–) Pläne und Entscheidungsmacht über Investitionen. Und die Machtfrage ist natürlich der Knackpunkt. Man vergißt gern die Entscheidung, die Rationalisierungen, Umstrukturierungen und Stillegungen, sozialen und ökologischen Belastungen vorausgeht. Sie lautet: Wir wollen an Einkommen und Standard behalten, was wir haben oder - wenn es geht - noch mehr. Daraus folgert, daß wir auf dem Weltmarkt mithalten müssen. Das hat einschneidende Konsequenzen für den Menschen, seine Arbeit, Gesellschaft und Natur. Es geht darum, ob und wie, zu wessen Lasten/Gunsten diese Konsequenzen behandelt und gesteuert werden sollen. Wer aus dem Weltmarkt aussteigen will, kommt ebenfalls in turbulente Konsequenzen. Es wird ihm nur zunehmend an Geld fehlen, um sie zu lindern. Bei dem Versuch der Steuerung geht es um regionale und sektorale Strukturpolitik, sie müßte um die Ökologie erweitert werden. In unserem System planen die Haushalte, der Staat, die Unternehmer. Wenn es knallt, merken wir, daß die Unternehmerplanung die entscheidende ist. Der Staat mit der Rahmenplanung spielt Geburts– und Beerdigungshelfer. Die Haushalte liefern beiden das Geld. Über Steuern, Preise, Sparrate. Der Streit geht darum, ob nicht Staat und Bürger an der Unternehmensplanung und Entscheidung - vor allem über Art, Ort, Zeitpunkt und Umfang der Investitionen - gleichgewichtig beteiligt werden müssen, das heißt nichts anderes als direkte Investitionslenkung. Dies erfordert einen breiten Demokratisierungsprozeß, der bei der Teilnahme der Menschen weit über die gewerkschaftlichen Vorstellungen hinausgeht. Schon wegen der alten kapitalistischen Weisheit, daß, wer die Musik bezahlt, auch bestimmt, was sie spielt. Man kann das auch die Demokratisierung innerer Entwicklungspolitik nennen. Wer die Forderung danach erhebt, wird die veröffentlichte Meinung fast geschlossen gegen sich haben. Er rüttelt an der Herrschaft des Kapitals über Mensch, Arbeit und Natur. Es ist höchste Zeit, daß diese Demokratisierung über praktische Modelle durchgeführt wird. Denn mit den Umwälzungen in unserer Arbeitswelt - bis zur Austrocknung ganzer Regionen - stehen wir erst am Beginn. Und nach Untersuchungen in den USA werden neue, gutbezahlte Dauerarbeitsplätze oder neue Industriearbeitsplätze eine Mangelware sein. Frei nach Rilke: Wer jetzt keinen Platz baut, baut sich keinen mehr!
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